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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Ahrens
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die Kinder mit der Betreuerin die Woche über von morgens bis mittags allein zu lassen. Ich versuchte mich zu beruhigen. Wir mussten da jetzt durch. Die Kinder mussten essen und trinken. Das war in erster Linie wichtig, gerade bei Loreens Nierenproblemen und Louises Medikamenteneinnahme. Da mein erster Arbeitstag nahte, beschlossen wir, Oma Karin um Unterstützung zu bitten. Und sobald Oma das Haus betrat, waren die Mädchen vor Freude aus dem Häuschen. Dann war alles vergessen, sie aßen und tranken, sie spielten und waren gut gelaunt. Nach und nach gewöhnten sich Louise und Loreen an die Betreuerin.
    Einen Tag vor Antritt meiner Arbeit war ich so aufgeregt, dass ich tagsüber Baldriantabletten einnehmen musste. Meine Hände waren kalt und zitterten. Ich rief im Betrieb an und schüttete meinem Kollegen, den ich noch von früher kannte, mein Herz aus, das half.
    An Loreens drittem Geburtstag ging ich nach über vier Jahren erstmals wieder ins Büro arbeiten. Meine Aufregung war völlig unnötig gewesen. Alle freuten sich sehr über meine Rückkehr und waren sehr zuvorkommend und hilfsbereit. Der freundliche Empfang erleichterte mir den Wiedereinstieg sehr. Nach einigen Tagen hatte ich bereits meinen neuen Rhythmus gefunden, und zu Hause lief ebenfalls alles bestens. Die Umstellung auf das frühe Aufstehen war natürlich nicht ganz leicht, aber daran gewöhnte ich mich bald. Die Kinder wachten manchmal auf, wenn um sechs der Wecker klingelte, aber sie spielten dann noch oder kuschelten sich wieder in ihre Kissen. Ich machte mich fertig, und kurz darauf kam schon unsere Betreuerin, die die Kinder wusch, anzog und ihnen das Frühstück bereitete. Ich musste dann los, und Louise und Loreen winkten und riefen: »Tschuus, Mama. Abei!«
    Mit der Betreuerin hatten sie viel Spaß und Abwechslung. Sie übernahm die kompletten Therapietermine und ging mit ihnen zur Krankengymnastik, zum Bewegungsbad, zum Arzt oder einkaufen. Sie lud die Kinder ins Auto und erledigte alles, sodass ich nachmittags keine Termine mehr mit den Kindern hatte. Sie fuhren auch mal zum Pommesessen in die Stadt oder mit dem Bus zu Oma und liefen dann zu Fuß zurück.
    Das Arbeiten bekam mir sehr gut. Ich kam auf andere Gedanken, hatte mit anderen Menschen zu tun. Es war ein Gefühl, als würde ich im Kopf wieder mehr Freiraum haben, mein Gehirn tankte Sauerstoff, und die schlechten Gedanken und Sorgen flogen davon. Ab und zu blieb ich mittags in der Stadt, denn Rolf hatte manchmal schon Feierabend oder brachte die Kinder mittags zu Oma Karin. Ich aß dann mit einer Freundin etwas zu Mittag oder bummelte auch schon mal durch die Geschäfte.
    Die Wochenenden waren in dieser Zeit besonders schön. Wenn ich samstagmorgens zum Bäcker ging, war es ein ganz anderes Gefühl als vorher, als noch jeder Tag eintönig war und immer dasselbe passierte. Jetzt waren die frischen Brötchen und die Zeitungen am Samstag und der Sonntag ein richtiger Verdienst für eine arbeitsreiche Woche. Ich war befreit, von meiner »Hausfrauen-Alzheimer-Erkrankung«, denn zuvor hatte ich während der Woche manchmal nicht gewusst, welcher Wochentag gerade war.
    Gleich in den ersten beiden Monaten hatte ich mich bei meiner Arbeit zwei Tage krankmelden müssen und fehlte einen Tag, da die Betreuerin erkrankt war. Ich hatte ein schlechtes Gewissen deswegen, verdrängte aber meine Sorge, dass man als Arbeitnehmer, der zu oft fehlt oder wegen Krankheit ausfällt, nicht tragbar ist und womöglich gekündigt wird – so hatte Rolf es ja erleben müssen.
    Ich führte einige Gespräche mit einer Kollegin, die mich beruhigte. Ich war so froh, dass sie mir Mut machte. Rolf und ich hatten eben eine ganz außergewöhnliche Situation zu meistern, und ich hoffte, dass diese Fehlzeiten für meine Arbeitskollegen und meinen Chef kein Problem waren.
    Doch dann fehlte unsere Betreuerin immer häufiger, weil sie erkrankte, sie fuhr zu einer Kur und nahm ihren Resturlaub. Wir konnten aber nicht sofort eine Vertretung bekommen. Als endlich eine neue Betreuerin vor der Tür stand, schöpfte ich erneut Hoffnung. Die beiden ersten Tage setzte sie sich auch sehr für unsere Kinder ein. Doch ab dem dritten Tag war sie beinahe jeden Morgen zu spät, sodass auch ich zu spät zur Arbeit kam. Dann wurde ihr eigenes Kind krank und ihr Vater verstarb, sodass auch diese Frau ausfiel. Es war wie verhext. Ich hatte das Gefühl, all die Helfer benötigten eigentlich selbst Hilfe. Wir zogen unseren Antrag auf Hilfe

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