Glück, ich sehe dich anders
groß. Wir nannten es Räuberhöhle. Ein Bett, ein Waschbecken, ein Schrank, eine unbequeme Elternpritsche, ein kaputter Fernseher. Das Essen wurde uns in einen kleinen Raum vor unserem Zimmer gestellt – wie für einen Hund. In dieser Höhle durften wir eine ganze Woche verbringen. Louise erhielt zusätzlich ein Medikament gegen die Windpocken. Der Ständer für die Infusionen brach fast auseinander, so voll war er behangen. Es piepte halbstündlich, weil irgendein Medikament durchgelaufen war, auch nachts. Unerträglich.
In einer Nacht zog sich Louise im Schlaf den Quinton-Katheter heraus, der nun doch für eine mögliche Knochenmarktransplantation gelegt worden war. Panik!!! Steckte noch ein Rest in der Nähe des Herzens fest? Was geschah nun? Röntgen, Intensivstation? Niemand beantwortete mir meine ängstlichen Fragen. Der Dienst habende Arzt sagte bloß: »Tja, da haben wir ein ernsthaftes Problem. Ich muss erst mal telefonieren!«, und ging hinaus.
Mit wem musste er telefonieren? Was war das Problem? Eine Krankenschwester versuchte mich zu beruhigen. Sie sah sich den Quinton-Katheter an und versicherte mir, dass er komplett sei, dass nichts mehr in Louises Brust stecken könne. Louise saß im Bett und kicherte. Sie hielt mir ihren Ernie hin. Ich musste ihm den Katheter anbinden, ihm und auch Bert die Haare abschneiden und beiden Stofffiguren Pflaster und Verbände anlegen. Sämtliche leeren Infusionsflaschen und Kabel bekamen Ernie und Bert von mir angeschlossen.
In dieser Nacht fanden wir keine Ruhe mehr. Louise hatte bereits am Tage schlechte Blutgerinnungswerte, aber man hatte ihr nicht sofort eine Blutkonserve verabreichen wollen, sondern gewartet, ob sich die Werte von allein besserten. Nun jedoch, nachdem der Katheter heraus war, bestand die Gefahr einer inneren Blutung. Die Blutbank jedoch hatte gerade zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Konserve, die zu Louises Blutgruppe passte, und diese musste aufbewahrt werden, falls ein Notfall mit Schwerverletzten hereinkam.
Louise zählte zu diesem Zeitpunkt also nicht als Notfall! Dann konnte das alles nicht so schlimm sein, oder? Um mich endgültig zu beruhigen, rief ich auf der Kinderkrebsstation an und erhielt die erleichternde Nachricht, dass sich Kinder öfter diesen Katheter zögen.
Louise wurde in der Nacht ein Zugang am Fuß und einer an der Hand gelegt, sie bekam ihre Infusionen darüber und schlief endlich ein.
Mir kam es so vor, als ob sich Louise ohne Katheter besser fühlte.
Als es Louise ein wenig besser ging, durfte sie für zwei Tage nach Hause. Sie hatte sich sowohl von den Windpocken als auch von einer schweren Infektion gut erholt.
»Bin wieder Hause, Loheen!«, rief sie und umarmte ihre Schwester. Wir fütterten Louise. Trinken konnte sie nur mit Hilfe einer Fünfundzwanzig-Milliliter-Spritze, aus der wir ihr langsam Wasser oder Bananenmilch in den Mund fließen ließen. Milliliter für Milliliter, sodass sie auf eine Menge von achthundert Millilitern Flüssigkeit am Tag kam.
Im Krankenhaus wurde nach dem ersten Chemoblock eine Knochenmarkpunktion gemacht. Das Knochenmark wies keine Leukämiezellen mehr auf. Wie damals. Aber zurückdenken durften wir nicht. Wir mussten nach vorn blicken.
IM OP
L ouise sollte einen neuen Port erhalten. Rolf verbrachte die Nacht davor mit Louise auf der Station. Für 8.30 Uhr war die OP angesetzt. Als ich am Morgen in der Klinik ankam, hoffte ich, Louise habe den Eingriff bereits gut überstanden. Aber Rolf saß mit ihr im Spielzimmer. Wegen einiger Notfälle musste Louise warten.
Um 12 Uhr saßen wir immer noch im Spielzimmer. Louise durfte weder essen noch trinken. Ich litt mit meinem Kind und konnte die aufsteigende Wut nur schwer unterdrücken. Warum muss ein schwer krankes Kind so lange auf eine OP warten? Wir beschlossen, mit Louise etwas spazieren zu gehen. Die Schwester sagte, sie rufe uns auf dem Handy an, sobald der OP frei sei. Eine halbe Stunde später war es endlich so weit. Louise bekam ein Beruhigungsmittel. Müde wurde sie davon aber nicht so recht. Im Vorraum zum OP mussten wir sie allein lassen, zwei fremde Schwestern waren bei ihr. Diese versicherten uns, dass sie nur kurz einen Zugang legen würden und sie dann in den OP komme.
Fast vier Stunden später war Louise noch nicht aus dem OP heraus. Was war da los? Gab es Probleme? Niemand hielt es für nötig, uns mitzuteilen, warum die OP so lange dauerte. Selbst in solch schweren Stunden musste man fragen, bitten und drängen,
Weitere Kostenlose Bücher