Glück, ich sehe dich anders
besonders. Sie streckte mir dann immer wieder ihre weichen fleischigen Füßchen entgegen und rollte mit den Augen, eine Aufforderung, sie zu massieren.
Ach, Louise,
was hältst du alles aus, so tapfer bist du. Zu Hause ist alles so leer und still. Niemand fragt: »Mama, magi dugi da?« – Mama, Was machst du da? Niemand ruft: »Mama, koche essen!« Oder: »Ein, twei, dei, via, fönf, ses, ßieben, ach, neun, ten, olf, twölf, deiten, viaten, fönften …!« Die Schaukel bewegt sich im Wind ohne Louise darauf. Die Sandkiste ist zugedeckt. Die Kaninchen Mimi und Tippi werden nicht von Louise gefüttert. Niemand jubelt so wie du, wenn es Essen gibt. Niemand rennt durch den Flur und juchzt vor Freude, wenn es an der Tür klingelt und Besuch kommt. Alles ist so still. Ich schaue mir zu Hause oft Fotos von dir an. Es gibt nicht ein Bild, auf dem du traurig bist oder weinst oder wütend aussiehst, immer ein Lachen, immer Freude und Lebenslust ist in deinem Gesicht zu sehen. Höre ich die Musik der ›Sesamstraße‹, zucke ich zusammen. Louise, ich vermisse deinen rhythmischen Tanz, die wilden Drehungen und dein lautes Lachen dazu, ich vermisse deine spontanen Küsse und Umarmungen, deine stürmische Liebe, deinen Humor. Ich sehe dich so glücklich ganz allein die Rutsche im Kindergarten raufklettern. So stolz warst du auf dich selbst und ich auf dich, dass du es allein geschafft hast und runtergerutscht bist. Du bist so ein leidenschaftliches Mädchen. Ein Satz wird mir nie mehr aus dem Kopf gehen. Scheint die Sonne, dann sagst du: »Mama, wundaßön, Sonne scheint!« Du bist so eine Genießerin. Ich stehe oft in deinem Zimmer, schlafe in deinem Bett, um dir so nahe zu sein wie nur möglich. Dein Kaufmannsladen ist wie verlassen, dein Kasperletheater weckt kein lebendiges Spiel, kein Geklapper ertönt aus deiner kleinen Kochecke, deine Puppen liegen unbewegt im Regal. Ich vermisse deine Spielereien, mit denen du uns morgens weckst. Wir hören dich immer erzählen und sehen dich für deine Puppen kochen, in deinem Kaufmannsladen einkaufen. »Ssahne, Butter, Brod, Eier!« Und dann zur Kasse und bezahlen. Schließlich rufst du: »Morgen, Mama, Morgen, Papa!« Danach sehne ich mich so.
Wir haben immer für dich und Loreen gekämpft, haben so viel durchgestanden. Wir halten alle zusammen, dann schaffen wir alles!
Ich Wünsche mir so sehr, dass du die Chemo überstehst und dass sie diesmal auch die kleinsten bösen Zellen vernichtet. Damit du wieder lachen kannst. Alles muss gut werden!
Louises Entzündungswert war nach sechs Tagen auf zweihundertvierzig angestiegen, das ist sehr hoch. Ihre Atmung war schlecht, und es fehlte nicht viel, und sie würde auf die Intensivstation gebracht werden. Louise erhielt acht verschiedene Antibiotika, etwas zur Nahrungsergänzung, Flüssigkeit und Morphin gegen die Schmerzen. Ihr Kreislauf war nicht mehr stabil, und ihr Körper lagerte stark Wasser ein. Aber Louise fing sich wieder.
Doch die Erleichterung hielt nicht lange an, denn Louise bekam Windpocken. Man sagte uns, das wäre das Gefährlichste, was Louise während einer Chemotherapie passieren könne.
Nachdem ich die ersten Pusteln an Louises Po entdeckt hatte, alarmierte ich sofort die Ärzte. Aber man beharrte darauf, dass es ein Ausschlag oder eine Reaktion der Haut auf die Chemotherapie wäre. Die Besserwissermutter mal wieder …, hatten die Ärzte sicherlich gedacht. Laut Blutbild hatte Louise auch schon die Windpocken gehabt.
An einem dieser Tage war ein Besuch mit Loreen geplant, den wir Louise auch schon angekündigt hatten. Ihre Vorfreude war unbeschreiblich, sie hatte etwas für Loreen gebastelt und eingewickelt. »Ein Schenk für Loheen! Eine Überhaschung!«, hatte sie gesagt.
Als Loreen zur Tür hereinkam, rief Louise strahlend: »Oh, meine Loheen ist da! Meine Loheen!« Sie drückten und küssten sich, sie umarmten sich, als hätten sie sich monatelang nicht gesehen. Es war auch für uns eine Freude, sie so glücklich zu sehen.
Eine Woche später hatte Louise etwa zwanzig Pusteln am ganzen Körper, jetzt wurden die Ärzte hellhörig. Mein Verdacht auf Windpocken wurde nun bestätigt; die Besserwissermutter hatte Recht behalten. Louise musste isoliert werden, wurde behandelt, als würde sie eine Seuche verbreiten. Dabei konnte sie längst alle Kinder auf der Station angesteckt haben.
Wir wurden in ein kleines Zimmer auf einer anderen Kinderstation verbannt. Dieses Zimmer war ungefähr zweieinhalb mal vier Meter
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