Glück, ich sehe dich anders
Stunde Gutenachtgeschichten mit Singen und dann noch eine Stunde Geschichten oder Musik von Kassette oder CD, bis sie endlich einschlief.
Oma Karin, Opa Rolf, Oma Hannelore, Opa Wolfgang, Tante Sammy und Onkel Matthias waren in dieser Zeit immer für uns da. Louise bekam auch viel Post von ihren Freunden aus der Down-Syndrom-Liste im Internet und vom Kindergarten. Selbst gebastelte Karten aus ganz Deutschland, aus der Schweiz und aus Amerika lagen in unserem Briefkasten. Auch unsere Arbeitskollegen und Freunde erkundigten sich laufend danach, wie es Louise und uns ging. Diese Anteilnahme tat uns sehr gut. Und noch jemand war da, der uns sehr beistand, Oliver aus Wuppertal. Eines Tages spazierte er mit einem riesengroßen Elefanten aus Stoff in Louises Krankenzimmer. »Oh, ein großa, großa Elafant!«, rief Louise, und ihre Augen strahlten wie lange nicht mehr. Wir befanden uns mal wieder in einem Isolierzimmer, weil Louise einen fieberhaften Infekt hatte. Oliver reiste mit dem Elefanten in ganz Deutschland von Krankenhaus zu Krankenhaus und besuchte und beschenkte schwer kranke Kinder. Er war vom ersten Augenblick an von Louise angetan und küsste zum Abschied sogar ihre Glatze.
Wir dachten noch lange an den Elefanten und an Oliver.
Ich versuchte, Olivers Adresse oder Telefonnummer herauszufinden, aber es gelang mir nicht. Wie freute ich mich, als eine Schwester sagte, Oliver habe auf der Station angerufen, nach uns gefragt und seine Telefonnummer hinterlassen.
Von diesem Tag an telefonierte Louise fast täglich mit Olli, sehr zu Lasten von dessen und unserer Telefonrechnung. Abends rief Olli häufig an, um den Kindern Gute Nacht zu sagen und zu fragen, wie der Tag gewesen sei. Und im neuen Jahr besuchte uns Olli mit seinem Vater zu Hause. Wir verbrachten zwei schöne Tage zusammen. Louise durfte mit dem großen roten Bus von Olivers Verein Internet Bärchen e.V. fahren. Er brachte einen großen Karton voll Spielsachen mit. Playmobil, Malsachen, Scheren, Trecker, Autos, Hubschrauber und vieles mehr, manches in doppelter und dreifacher Ausführung. Es war so viel, dass wir vieles mit Olivers Einverständnis an eine Arztpraxis, an ein Krankenhaus und an einen Kindergarten weitergaben. Dort wurde intaktes Spielzeug immer gebraucht. Seit mehr als zehn Jahren reist Oliver ehrenamtlich quer durch Deutschland und beschenkt Kinder in Kinderkliniken, Heimen und Hospizen mit Spielzeug.
Oliver versprach mir, auch einmal unsere Kinderklinik zu besuchen. Dort bemühte man sich immer sehr um Louise, und ich, die Besserwissermutter, wurde akzeptiert.
ZIMMERGENOSSEN
L ouise verbrachte mehr Zeit auf der Krebsstation als zu Hause. Statt geplanter fünf Tage zur Chemo blieb sie oft über zwei Wochen, da nach fünf Tagen Chemo sofort der Mund und die anderen Schleimhäute entzündet waren. Nur weil ich wegen der nervlichen Belastung krankgeschrieben und Rolf erneut arbeitslos wurde, konnten wir uns täglich mit Louises Betreuung im Krankenhaus abwechseln. Das kostete enormes Spritgeld, aber wenigstens gab uns die Krankenkasse einen kleinen Anteil dazu. Das Verhältnis zu unserer Krankenkasse hatte sich mittlerweile enorm verbessert. Reibungslos erstattete man uns Notwendiges. Häufig kam es aber auch darauf an, welchen Sachbearbeiter man erwischte. Es gibt solche und solche Menschen, auch bei den Behörden. In unserem Falle waren es überwiegend männliche Wesen, die sofort mit Herz und Kugelschreiber zur Stelle waren.
Zu Hause versuchte ich meist, einfach mal abzuschalten, denn im Krankenhaus hatte man ständig mit Problemen und Sorgen zu kämpfen – und zwar nicht nur mit den eigenen.
Wir hatten einmal zum Beispiel eine allein erziehende Mutter von acht Kindern mit ihrer Tochter im Zimmer. Sie wurde von den anderen Eltern meist nicht beachtet. »Die sind doch asozial!«, hörte ich eine Mutter hinter ihrem Rücken schimpfen. »Wie kann man nur acht Kinder in die Welt setzten? Und das von lauter verschiedenen Männern! Und das Mädchen von der hat nicht nur Leukämie, sondern ist auch noch geistig behindert! Die randaliert herum und macht alle Spielsachen kaputt.«
Ich war traurig. Die Kleine und ihre Mutter wurden wohl in unserem Zimmer untergebracht, weil Behinderte zu Behinderten passen. Die Türken werden zu den Türken gesteckt, die Araber zu den Arabern, die Schwarzen zu den Schwarzen … und die Asozialen zu den Asozialen? Also sind wir behindert und asozial?
Ich kam mit der Mutter ins Gespräch, und sie erzählte
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