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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Ahrens
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letzten Chemo.
    Louise wollte gar nicht von Marita ablassen, sie gar nicht gehen lassen. Sie wollte mitfahren in Urlaub. Sie begleitete Marita den langen Flur entlang, winkte und verabschiedete sich immer wieder, bis sich die Glastüren hinter Marita schlössen. Louise schaute Marita so lange durch die Glastüren hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen war.
    In der Kapelle erzählten wir noch mehr Geschichten über Louise, die uns besonders in Erinnerung waren. Wir unterhielten uns alle lautstark und kehrten dann wieder in uns. Wir beteten zusammen. Es waren wunderschöne Tage des endgültigen Abschiednehmens.
    Rolf und ich waren in einem guten Zustand. Wohl, weil wir uns schon jahrelang doch irgendwie darauf eingestellt hatten, dass es irgendwann passieren wird. Nur den Zeitpunkt, den kannten wir nicht. Nun aber war Louise gestorben. So oft hatte ich mir vorgestellt, wie der Bestattungswagen vor uns herfährt. So oft hatte ich mich gefragt, wie die Zeitungsanzeige für mein Kind aussehen würde. So oft hatte ich vor mir gesehen, wie wir Louise zum Krematorium nach Kiel begleiten würden, wie ich den Altar in der Kirche schmücken würde. Und alles trat so ein, wie ich es mir vorgestellt hatte.
    Wie wir Louises Abschied gestalteten, war ungewöhnlich, aber Louise war nun einmal ein ungewöhnlicher Mensch gewesen, deshalb sollte sie auch angemessen verabschiedet werden. Mit den Verantwortlichen im Krematorium besprach Herr Ramcke, dass wir Louise bereits einen Tag vor dem Gottesdienst bringen und die mit Asche gefüllte Urne zwei Stunden später wieder mitnehmen durften. Wir besuchten Louise ein letztes Mal in der Kapelle. Herr Ramcke lud sie in den Wagen. Wir gingen ein letztes Mal den langen Weg entlang von der Kapelle zur Straße durch das Tor des Friedhofes. Neben uns war eine kleine Wiese, an deren Zaun laut und wild viele Gänse schnatterten. Als wir durch das Tor gingen, war am Himmel ein wunderschöner leuchtender Regenbogen zu sehen. Genau über uns.
    Wir fuhren hinter dem Bestattungswagen nach Kiel. Wir begleiteten Louise auch auf diesem letzten Weg. Wie schnell würde Herr Ramcke mit Louise an ihrem Zuhause vorbeifahren?, fragte ich mich. Der Bestatter fuhr die Bundesstraße entlang, und in Höhe unseres Dorfes wurde er langsamer. Das letzte Mal durchquerte Louise ihr Dorf. In Kiel angekommen, klopften wir auf ihren Sarg und wünschten ihr eine gute Reise in ihre neue Welt. Während des Einäscherungsvorgangs ließen wir uns durch die Anlage des Krematoriums führen. Alles ließen wir uns zeigen. Ich hatte mir vorgestellt, dass es wie eine Müllverbrennungsanlage aussehen würde mit einem Schornstein, aus dem dunkler Qualm hervorkam. Doch das Krematorium war ganz anders. Wie ein Auto, das in seine Garage gefahren wird, werden die Särge in den Ofen eingefahren. Wir ließen uns den Ofen, in dem Louise kremiert wurde, zeigen – Ofen Nummer vier -, sowie den dazugehörigen Schornstein. Es knisterte nicht, es qualmte nicht. Der Anlagenbesitzer zeigte uns auch den Computer, der zu Ofen Nummer vier gehört, die Temperaturanzeige, die Überwachung, die gesamte Technik … Es war alles in Ordnung für uns.
    Unsere Freunde fragten uns später, warum wir uns das angetan hatten. Musste man alles ganz genau wissen und begleiten? Ja, wir mussten es. Wir nahmen an, dass man sich diesen Vorgang in der Fantasie grausam ausmalen kann. Hätten wir uns all das nicht angesehen, hätten wir uns schlimme Dinge vorgestellt. Nun wussten wir, wie es tatsächlich vonstatten ging und wie die letzten Stunden abgelaufen waren. Als wir im Hinterhof des Krematoriums auf das Ende der Einäscherung warteten, huschte ein Eichhörnchen aus der Ofenhalle heraus und an uns vorbei. Wir beachteten es nicht weiter.
    Rolf sagte: »Eigentlich muss Herr Ramcke doch hinten eine Befestigung im Kofferraum für die Urne anbringen. Sonst fällt die doch um beim Fahren!«
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der das kleine Gefäß hinten in den Kofferraum stellt. Die legt er bestimmt auf den Beifahrersitz!«, erwiderte ich etwas aufgebracht bei dem Gedanken, dass Louises Asche im Kofferraum verstaut werden sollte.
    »Auf den Beifahrersitz? Das glaube ich nicht! Es fährt doch keiner mit solch einem Ding neben sich Auto!«, sagte Rolf nun wiederum entrüstet.
    Mein Unbehagen blieb, und ich war gespannt, wo genau die Kapsel mit Louises Asche für die Rückfahrt untergebracht würde.
    Dann kam Achim Ramcke mit der Aschenkapsel unter dem Arm auf uns

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