Glück muß man haben
einen Kopf und hatte seinem blonden Schopf einen adretten Scheitel aufgezwungen. Kein Zweifel, daß das sozusagen zur Feier des Abends geschehen war, denn normalerweise ließ Wilhelm seiner Mähne zügellose Freiheit, und Marianne stellte mit einem kurzen Blick fest, daß der Scheitel es verdiente, möglichst rasch wieder in der Versenkung zu verschwinden. Dafür müßte gesorgt werden, dachte sie sich.
»Hoffentlich Sie sein mir nicht böse«, sagte Wilhelm.
»Böse? Warum?«
»Weil ich habe Sie telefoniert.«
»Darüber bin ich sehr böse«, sagte sie mit streng erhobenem Zeigefinger, aber ihre vergnügte Miene strafte sie Lügen.
»Ich eine Stunde lang nicht haben den Mut, dann ich mir packen ein Herz …«
»Nehmen.«
»Was … nehmen?« fragte Wilhelm unsicher.
»Man sagt ›sich ein Herz nehmen‹«, erklärte ihm Marianne ohne jeden Spott.
»Danke. Sie sind meine beste Lehrerin«, meinte er in einwandfreiem Deutsch. Diesem Satz hörte man an, daß er eingelernt war.
»Das hatten wir doch so ausgemacht?«
»Sicher«, grinste er.
»Wohin gehen wir?«
»In Kino.«
»Das ist klar. Aber in welches?«
»Ich weiß nicht.«
Marianne stutzte, dann lachte sie.
»Sie haben mich doch eingeladen? Dann müssen Sie auch wissen, wohin.«
»Sollen Sie bestimmen, wohin.«
»Warum nicht Sie?«
»Weil für mich egal, wo ich sitzen. Ich nicht schauen auf Film, ich schauen auf Sie. Also muß gefallen der Film Ihnen, nicht mir. Deshalb Sie sollen bestimmen.«
Sie hatten sich schon ein Stück von der ›Sonnenblume‹ entfernt. Nun blieb Marianne stehen.
»Sie können doch nicht neunzig Minuten lang mein Profil beglotzen, Wilhelm.«
»Beglotzen? Was heißen das?«
»Anstarren … ansehen.«
»Doch, ich können.«
»Im Finstern, Wilhelm, bedenken Sie.«
»Doch, ich können.«
»Nein, das will ich nicht«, sagte Marianne, mit dem Fuß aufstampfend, aber ihre Augen lachten dabei wieder. »Ich muß Ihnen das verbieten.«
»Hat keinen Zweck, Marianne.«
»Dann gehe ich mit Ihnen nicht ins Kino.«
»Doch.«
»Nein.«
»Sie mich erpressen?«
»Ja«, sagte Marianne vergnügt.
Wilhelm faßte nach ihrer Hand und setzte sich, sie mit sich ziehend, wieder in Bewegung.
»Kommen Sie. Ich mit Ihnen gehen zur Polizei und machen Anzeige.«
Das erste Kino, an dem sie vorbeikamen, spielte einen Horrorfilm mit Frankenstein. Nicht das Richtige. Das zweite bot einen amerikanischen Kriegsfilm an. Wurde auch verworfen. Das dritte lockte mit einem französischen Streifen.
»Gut«, meinte Wilhelm.
»Warum?« fragte Marianne.
»Weil französisch«, grinste Wilhelm, machte die Augen zu und setzte, während er sie geschlossen hielt, hinzu: »Liebe.«
Das Wort schien ihm auf der Zunge zu zergehen.
»Wilhelm!«
Er schlug die Augen wieder auf.
»Ja?«
Marianne winkte ihn mit dem Zeigefinger näher zu sich heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und roch an seinem Atem.
»Was haben Sie getrunken?«
»Ich?«
»Ja, Sie! Lügen Sie mich jetzt nicht an!«
Wilhelm wurde rasch rot.
»Einen Kognak.«
»Einen?«
»Drei.«
Marianne schüttelte den Kopf.
»Sie trinken doch keinen Schnaps, haben Sie mir schon wiederholt gesagt.«
»Heute war notwendig.«
»Warum?«
»Weil ich ohne nicht habe den Mut, zu telefonieren Sie.«
Ist denn das die Möglichkeit? dachte Marianne. Wenn ich das einer meiner Freundinnen erzählen würde, wäre die nahe daran, sich nicht mehr einzukriegen. Aber keine Angst, versicherte sie sich selbst, ich erzähle es schon keiner. Das bleibt mein Geheimnis; meines – und seines.
»Gehen wir rein«, sagte sie, zum Kinoeingang hinnickend.
An der Kasse staute sich ein kleiner Pulk jüngerer Männer, deren Mädchen in dem Vorraum verstreut herumstanden und warteten, bis von ihren Freunden die Eintrittskarten gelöst waren. Marianne tat das gleiche, stellte sich auch in eine Ecke und Wilhelm reihte sich in die kleine Schlange an der Kasse ein. Das war ein Fehler von Marianne. Sie hätte bei Wilhelm bleiben sollen.
Als sich Wilhelm bis zum Kassenfenster vorgeschoben hatte, sagte er: »Zwei Karten, bitte.«
Das weibliche Wesen hinter dem offenen Fenster war verheiratet und wurde laufend von ihrem Mann betrogen. Sie wußte das und befand sich deshalb ständig in einer Stimmung, in der sie am liebsten den Erdball in die Luft gesprengt hätte. Psychologen hätten gesagt, daß sie zu Aggressionen neigte, obwohl ihr das ihre Tätigkeit, die zur großen Familie des Dienstleistungsgewerbes gehörte,
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