Glück muß man haben
zweitens habe ich überhaupt keine Ausrüstung, keine Schuhe und so weiter.«
»Die kriegst du. Der Größe nach müßte dir alles von Karl-Heinz passen.«
»Von welchem Karl-Heinz?«
»Karl-Heinz Groth. Ein Kraftfahrer der Firma. Unser etatmäßiger Libero. Du kennst ihn vielleicht nicht. Er mußte zu einer Beerdigung. Daraus ergibt sich ja das Hauptproblem für uns heute.«
»Und drittens«, sagte Wilhelm, »fehlt mir, seit ich hier bin, jedes Training. Was das heißt, muß euch doch klar sein. Ich habe keinen Funken Kondition. Kriege ich die auch von Karl-Heinz?« setzte er ironisch hinzu.
Das war nun wirklich ein Problem. Friedrich verstummte, auch Bernd schien zu resignieren. Da wartete Stummel mit einem Vorschlag auf, der Hand und Fuß hatte. »Und wie wär's mit einer Halbzeit, Wilhelm? Die könntest du doch auf alle Fälle noch durchstehen?«
»Nein!« erklärte Wilhelm kategorisch. »Ein für allemal nein!«
»Du willst uns also hängen lassen?«
Stummel war ein Naturtalent als Psychologe. Er kannte seinen Pappenheimer. Als er Wilhelms entrüstete Reaktion sah, rieb er sich innerlich schon die Hände.
»Was heißt hängen lassen!« protestierte Wilhelm. »Ich lasse niemanden hängen! Das ist doch hier etwas ganz anderes!«
»Das ist es zwar nicht«, ging Stummel noch einen Schritt weiter, »aber vielleicht interessiert dich eben all das nicht mehr sosehr, was denen – oder mir – wichtig erscheint.«
»Wie meinst du das? Was erscheint euch wichtig?«
»Fußball spielen.«
»Und mir?«
»Dein Vorwärtskommen.«
Zweieinhalb Stunden später pfiff der Schiedsrichter die Begegnung zwischen den Firmenmannschaften von Elektro-Storm und Brot-Marten an, und in den Reihen der ›Stormer‹ stand Wilhelm Thürnagel und war bemüht, sein Bestes zu geben, um dem Gegner das Siegen zu erschweren.
Und dieses Beste wurde zur Sensation des Tages …
Zuerst fühlte sich Stummel, der sich als Zuschauer bei jedem Spiel fast mehr hineinkniete als die Aktiven selbst, nicht recht wohl in seiner Haut, trug er doch die Verantwortung dafür, daß Wilhelm Thürnagel, ein vollkommen unbeschriebenes Blatt, in die Mannschaft aufgenommen worden war. Sollte sich herausstellen, daß sich diese Maßnahme zu einem Fiasko auswuchs, konnte sich Stummel auf allerhand gefaßt machen. Stummel lief deshalb nervös am Rand des bescheidenen Spielfeldes, das Firmenmannschaften zur Verfügung stand, auf und ab und wurde ständig begleitet von einer Gruppe von Arbeitskollegen, die nur darauf warteten, über ihn herzufallen, wenn der Zeitpunkt gekommen sein würde.
»Stummel«, sagte einer, »ich habe das Gefühl, das kostet dich heute noch ein paar Lagen.«
»Oder euch«, sprach sich Stummel selbst Mut zu.
»Man muß ja schon deshalb schwarz sehen«, meinte ein anderer, »weil sich der mit seinem Deutsch im Spiel mit seinen Kameraden nicht einmal richtig verständigen kann.«
»Was das angeht«, sagte Stummel, »mußt du dich gegen den verstecken. Wann hast du mit ihm zuletzt gesprochen?«
»Das ist allerdings schon eine Weile her. Ich gehöre einer anderen Gruppe an.«
»Dann verrate ich dir, daß du den nicht mehr wiedererkennen würdest. Der spricht inzwischen perfekter hochdeutsch als Adolf Tegtmeier seinen Kohlenpottdialekt.«
»Von mir aus gibt er bald ein Buch heraus, Stummel«, ließ sich ein dritter vernehmen. »Heute wäre es mir allerdings wichtiger, daß er den Ball trifft, wenn ihm der vor die Füße fällt.«
Dieser Meinung waren alle, auch Stummel selbst konnte nicht mehr widersprechen.
Das Spiel hatte gleich zu Beginn einen Nackenschlag für die Elektriker parat. Die Bäcker griffen an; aus ihrem Mittelfeld wurde der Ball nach vorn geschlagen; die Nummer Elf bekam ihn, lief die linke Auslinie entlang, wurde nicht angegriffen und drängte auf Höhe der Strafraumgrenze nach innen. Erst jetzt stürzte ihm ein Abwehrspieler der Elektriker entgegen. Ehe ihn der aber erreichen konnte, spielte der Bäcker rasch ab, und zwar noch einmal nach links, wo inzwischen ein eigener Mittelfeldspieler mit nach vorn gelaufen war. Von diesem kam dann nach drei, vier Schritten die entscheidende Flanke. Völlig ungestört von den Elektrikern flog der Ball in deren Strafraum und senkte sich genau auf dem Elfmeterpunkt zu Boden. Dort hätte Kurt, der Ersatz-Libero der ›Stormer‹, stehen und eingreifen müssen. Wer jedoch nicht dort stand, sondern ganz woanders herumirrte, war Kurt. So kam es, daß die Nummer Neun der Bäcker den
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