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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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sage »immer«, weil diese Schwärmerei schon in seiner Kindheit einsetzte. Eines Tages hört der Junge im Auto die Stimme von Céline Dion. Blitzschlag. Wir kaufen ihm das Album, dann das nächste, immer mehr Poster an der Wand, und bald leben wir mit einem kleinen Fan zusammen, wie es vermutlich Tausende andere auf der Welt gibt. Bald werden wir zu Konzerten in seinem Zimmer eingeladen. Jacob verkleidet sich mit einem meiner Kostüme als Céline und singt im Playback zu ihrer Stimme. Ich weiß noch, wie er sich eine Mähne aus den Bändern der damaligen Kassetten bastelte, nachdem er sie ausgeweidet hatte. Lionel mochte das Spektakel vermutlich nicht besonders, aber es war sehr lustig. Schon da mussten wir Roberts Spötteleien einstecken, der uns zu unserer Toleranz und Freigeistigkeit beglückwünschte. Aber es war sehr lustig. Jacob wird größer. Nach und nach gibt er sich nicht mehr damit zufrieden, wie sie zu singen, sondern er spricht auch wie sie und gibt Interviews ohne Gegenüber, mit Québecer Akzent. Er macht Céline nach, und er macht auch René nach, ihren Mann. Es war witzig. Wir lachten. Er imitierte sie perfekt. Wir stellten ihm Fragen, also, wir sprachen mit Jacob, und er antwortete als Céline. Das war sehr lustig. Es war sehr lustig. Ich weiß auch nicht, was da irgendwann entgleist ist. Wie wir von einer Teenie-Begeisterung übergegangen sind zu diesem ... ich weiß gar kein Wort dafür ... dieser Störung des Geistes ? Des Wesens ? ... Eines Abends, wir saßen alle drei in der Küche bei Tisch, da sagte Lionel zu Jacob, er sei es leid, ständig diesem Clown mit Québecer Akzent zuzuhören. Ich hatte Pökelfleisch mit Linsen gemacht. Normalerweise stürzen sich die beiden Männer darauf, aber jetzt hing etwas Trauriges in der Luft. So ein Gefühl, das man auch als Paar haben kann, wenn der andere sich in sich selbst zurückzieht und man darin ein Vorzeichen des Verlassenwerdens sieht. Jacob tat so, als verstünde er das Wort Clown nicht. Er antwortete seinem Vater mit Québecer Akzent, dass er zwar seit einiger Zeit in Frankreich lebe, aber nichtsdestotrotz Kanadierin sei und nicht vorhabe, seine Wurzeln zu verleugnen. Lionel wurde lauter, das sei jetzt langsam nicht mehr witzig, und Jacob erwiderte, er könne hier nicht »rumkabbeln«, weil er seine Stimmbänder schützen müsse. Seit diesem schrecklichen Abend leben wir mit Céline Dion im Körper von Jacob Hutner zusammen. Wir werden nicht mehr Papa und Maman genannt, sondern Lionel und Pascaline. Wir haben keine Beziehung mehr zu unserem echten Sohn. Anfangs dachten wir, es handele sich um eine vorübergehende Krise, Teenager haben manchmal solche kleinen Ticks. Aber als Bogdana, unsere Putzfrau, uns erzählte, er habe sehr freundlich nach einem Luftbefeuchter für seine Stimme verlangt (es fehlte nicht viel und sie hätte ihn für einen so großen Star sehr bescheiden gefunden), spürte ich, dass die Dinge eine ungute Wendung nahmen. Ohne Lionel etwas davon zu sagen – Männer sind manchmal einfach zu nüchtern –, ging ich zu einem Heiler, der Energiearbeit macht. Ich hatte schon davon gehört, dass manche Menschen von Wesenheiten besessen sein können. Der Heiler erklärte mir, Céline Dion sei keine Wesenheit. Und deshalb könne er sie auch nicht von Jacob lösen. Eine Wesenheit ist eine herumirrende Seele, die sich an einen Lebenden heftet. Und er konnte keinen Mann befreien, der von einer jeden Abend in Las Vegas auftretenden Sängerin heimgesucht wird. Der Heiler riet mir, einen Psychiater zu konsultieren. Das Wort Psychiater blieb mir in der Kehle stecken wie ein Wattebausch. Ich brauchte eine gewisse Zeit, um es zu Hause aussprechen zu können. Lionel war da klarer. Ohne Lionels Stabilität hätte ich diese Prüfung niemals überstanden. Lionel. Mein Mann. Mein Herz. Ein Mann, der sich selbst treu bleibt, der sich noch nie in den Vordergrund gedrängt hat und immer für den geradlinigen Weg war. Eines Tages sagte Robert über ihn, das ist ein Mann, der die Freude sucht, das Glück, aber ein Glück, wie soll ich sagen, in Würfelform. Wir mussten alle darüber lachen, wie gemein das Wort war, ich verpasste Robert sogar einen Klaps. Aber eigentlich, genau besehen, schon: in Würfelform. Solide. Von allen Seiten aufrecht. Wir schafften es, Jacob zu einem Psychiater zu bringen, wir machten ihm weis, es sei ein HNO -Arzt. Der Psychiater sprach sich für einen Klinikaufenthalt aus. Mich erschütterte, wie leicht sich unser Kind

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