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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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manipulieren ließ. Jacob überschritt frohgemut die Schwelle der Klinik, überzeugt, er beträte ein Aufnahmestudio. Eine Art Studio-Hotel eigens für Stars von diesem Kaliber, um ihnen die allmorgendliche Anfahrt zu ersparen. Am ersten Tag, als wir das leere weiße Zimmer betraten, hätte ich mich ihm fast zu Füßen geworfen und ihn um Verzeihung für diesen Verrat gebeten. Wir erzählten allen, Jacob sei für ein Praktikum im Ausland. Allen, auch den Toscanos. Die einzige, die von unserem Geheimnis weiß, ist Bogdana. Sie backt ihm weiter beharrlich serbischen Nuss-Mohn-Kuchen, den er aber nicht mehr anrührt, denn Jacob mag nicht mehr, was er früher mochte. Körperlich ist er normal geblieben, er imitiert keine Frau. Das sitzt viel tiefer als eine Imitation. Lionel und ich haben schließlich angefangen, ihn Céline zu nennen. Und unter uns kann es auch vorkommen, dass wir von »ihr« sprechen. Dr. Igor Lorrain, der Psychiater, der sich in der Klinik um ihn kümmert, sagt, er sei nicht unglücklich, außer wenn er Nachrichten schaut. Er ist ganz besessen davon, wie willkürlich sein Glück und sein privilegierter Status sind. Die Krankenschwestern überlegen schon, ihm den Fernseher wegzunehmen, weil er bei sämtlichen Abendnachrichten weint, sogar wenn irgendwo der Hagel eine Ernte vernichtet. Den Psychiater besorgt noch ein anderer Aspekt seines Verhaltens. Jacob geht ins Foyer hinunter und signiert Autogramme. Er schlingt sich mehrere Schals um den Hals, um sich nicht zu erkälten, die Welttournee verpflichtet, witzelt der Arzt (ich mag diesen Arzt nicht besonders), und dann postiert sich Jacob vor der Drehtür, überzeugt, dass die Leute, die die Klinik betreten, kilometerweit gefahren sind, um ihn zu sehen. Als wir gestern Nachmittag ankamen, stand er dort. Ich sah ihn schon aus dem Auto, noch bevor wir auf dem Parkplatz standen. Zu einem Kind hinabgebeugt, hinter den Scheiben der Drehtür, absurd freundlich, kritzelte er ihm irgendwas in ein kleines Heft. Lionel kennt mein Schweigen. Als der Wagen geparkt war, blickte er in die Platanen und meinte, war er schon wieder unten ? Ich nickte, und wir nahmen uns wortlos in die Arme. Dr. Lorrain sagt, Jacob nenne ihn Humberto. Wir haben ihm erklärt, dass Jacob ihn wahrscheinlich für seinen Toningenieur Humberto Gatica halte, also den Toningenieur von Céline. Eigentlich ziemlich logisch, recht bedacht, denn beide sehen sie Steven Spielberg ähnlich, dem Filmregisseur. Und genauso hörten wir, wie Jacob die martinikanische Pflegerin Oprah nannte (wie Oprah Winfrey), die ganz geschmeichelt mit den Hüften wackelte. Heute war ein furchtbar schwieriger Tag. Zuerst sagte er mit seinem Akzent, den ich niemals nachmachen könnte, ihr seht aber zurzeit nicht sehr glücklich aus, Lionel und Pascaline. Ich fühle sehr mit den Menschen, und es schmerzt mich, euch so zu sehen. Soll ich euch zur Aufmunterung etwas vorsingen ? Wir sagten nein, er müsse seine Stimme schonen, er habe auch so schon genug Arbeit mit seinen Aufnahmen, aber er wollte es unbedingt trotzdem tun. Wir mussten uns nebeneinander hinsetzen, wie früher, als er klein war, Lionel auf einem Hocker, ich auf dem Skai-Sessel. Und er fing an zu singen, er stand vor uns und sang, sehr gut im Rhythmus, ein Lied namens Love Can Move Mountains . Am Ende taten wir dasselbe wie früher, als er klein war, wir klatschten ordentlich. Lionel legte mir den Arm um die Schulter, falls ich schwächeln sollte. Als wir abends aufbrachen, hörten wir im Korridor, wie sich mehrere Leute etwas mit kanadischem Akzent zuriefen. Hey, David Foster, komm mal gucken ! Ist Humberto nach unten ? Frag mal Barbra ! ... Die bräuchte auch mal zwei Jahre Sabbatical   ! ... Wir hörten es prusten und begriffen, dass sich das Pflegepersonal einen Spaß daraus machte, Céline und ihr Gefolge nachzuäffen. Lionel ertrug es nicht. Er stürmte in den Raum, von wo das Gelächter kam, und sagte in feierlichem Ton, der auch mir sofort lächerlich vorkam, ich bin Jacob Hutners Vater. Stille trat ein. Und keiner wusste, was er sagen sollte. Da sagte ich, komm, Lionel, ist doch nicht so schlimm. Dann fingen die Pfleger an, sich stammelnd zu entschuldigen. Ich zog meinen Mann am Ärmel weg. Wir wussten nicht mal mehr, wo der Fahrstuhl war, wir irrten durch irgendwelche Treppenhäuser nach unten, die unter unseren Schritten widerhallten. Draußen war es fast schon dunkel, und es regnete ein bisschen. Ich zog meine Handschuhe über, und Lionel

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