Glücklich die Glücklichen
herumzuführen, das sehen Sie ja. Und was habe ich davon, ihn jetzt als armes Männlein zu sehen ? Dieses arme Männlein demütigt mich und tut mir in keiner Weise gut. Wer sagt Ihnen, dass das Herz angesichts der Wirklichkeit leichter wird ? Igor Lorrain nickte, ein Mann, der so guckt, als würde er alles verstehen, und schrieb wer weiß welche Einschätzung in meine Patientenakte. Als ich aus seinem Sprechzimmer kam, begegnete ich, im Treppenhaus der Klinik, meinem Lieblingspatienten. Ein schlaksiger, braunhaariger junger Mann, der schöne helle Augen hat und immer lächelt. Aus Québec. Er sagte, guten Tag, Chantal. Ich sagte, guten Tag, Céline. Ich hatte mich als Chantal vorgestellt und er sich als Céline. Ich glaube, er hält sich für die Sängerin Céline Dion. Aber vielleicht macht er auch nur einen Scherz. Er hat immer einen Schal um den Hals. Man sieht ihn durch die Korridore streifen und, wenn schönes Wetter ist, über die Gartenwege. Er bewegt die Lippen und spricht unhörbare Worte. Er sieht die Menschen nicht auf Augenhöhe an. Man meint fast, er wende sich an eine ferne Flotte, als würde er von einem hohen Felsen aus beten, um jene herbeizulocken, die aus der Ferne kommen, wie in der Mythologie.
Jean Ehrenfried
Darius setzte sich in den riesigen orthopädischen Sessel, in dem es meiner Ansicht nach kein Mensch bequem haben kann. Er saß fest an die Rückenlehne gepresst, wie ein Besiegter. Wäre jemand ins Zimmer gekommen, hätte er kaum sagen können, wer von uns, er in dieser Position oder ich im Bett, mit Verbänden und Tropf, der Bemitleidenswertere war. Ich wartete darauf, dass er sprach. Nach einer Weile sagte er, den Hals durch den Kopfstützenwulst nach vorn gedrückt: Anita hat mich verlassen. Obwohl ich lag, befand ich mich in meinem Krankenbett doch höher als er. Dass Darius diese Worte mit solch aufgelöster Miene vorbrachte, erschien mir fast komisch. Wo er überdies noch mit kaum hörbarer Stimme anfügte, sie ist mit dem Landschaftsgärtner weg. – Dem Landschaftsgärtner ? – Ja. Dem Typen, der seit drei Jahren den Scheißgarten in Gassin entwirft. Und mich ruiniert er mit furchterregenden subsaharischen Pflanzen. Kennengelernt habe ich Darius, lange bevor er dort ausgestoßen wurde, im Dritten Zirkel, einem jener geschlossenen Klubs, wo linke wie rechte Oligarchen herumkungeln, geprägt von gesellschaftlichem Konformismus und der unterwürfigen Treue zur Macht des Geldes. Damals leitete er mehrere Unternehmen, darunter eines, das Beratung in Projektplanung anbot, und ein anderes, das Chipkarten herstellte, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt. Ich hatte gerade die internationale Abteilung von Safranz-Ulm Electric verlassen, um Vorstandsvorsitzender zu werden. Mich erfasste eine Zuneigung zu diesem fast fünfundzwanzig Jahre jüngeren Burschen, der über einen orientalischen Charme verfügte. Er hatte Anita geheiratet, die Tochter eines englischen Lords, und zwei mehr oder weniger missratene Kinder mit ihr gezeugt. Darius Ardashir war unglaublich clever. Er schlängelte sich mit entwaffnender Nonchalance in dieses Strohmannsystem der Aufsichtsräte, in die Vetternwirtschaft, wo eine Hand die andere wäscht. Niemals drängend, niemals gekränkt. Wie bei den Frauen. Schließlich hatte er Erfolg als Vermittler bei internationalen Verträgen. Er war verstrickt in Korruptionsaffären, darunter eine ziemlich heikle um den Verkauf eines Grenzüberwachungssystems an Nigeria, was ihn übrigens die Mitgliedschaft im Dritten Zirkel kostete (ich finde ja, ein Klub, der seine Gauner rausschmeißt, ist im Eimer). Einige seiner Bekannten mussten eine kleine Ehrenrunde im Knast drehen, aber er ist ohne größeren Schaden davongekommen. Ich habe ihn immer als Stehaufmännchen und als treuen Freund erlebt. Als ich diesen Scheißkrebs bekam, verhielt sich Darius wie ein Sohn. Bevor ich unser Grundsatzgespräch anging, drückte ich auf alle möglichen Knöpfe, um den oberen Teil meines Bettes aufzurichten. Darius betrachtete meine Bemühungen und die Abfolge verschiedener Irrsinnsstellungen mit erloschenem Blick und ohne sich zu rühren. Eine Schwester erschien, der ich wahrscheinlich geklingelt hatte. – Was haben Sie denn vor, Monsieur Ehrenfried ? – Mich aufsetzen. – Dr. Chemla kommt gleich vorbei. Er weiß, dass Sie kein Fieber mehr haben. – Sagen Sie ihm, ich hab die Nase voll, er soll mich morgen nach Hause gehen lassen. Sie stellte mir das Bett ein und deckte mich zu wie
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