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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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nicht mal Abitur. Ich habe den Berg ohne jegliche Hilfe erklommen. Heute mache ich die Deko bei Events. Ich habe mir einen kleinen Namen gemacht, arbeite beim Film, in der Politik. Einmal sollte ich einen Saal im Ministerium in Bercy gestalten, für ein nationales Seminar über die Leistungsfähigkeit der französischen Selbständigen (ich erinnere mich noch an den Titel; wir hatten Fähnchen aus den Blumengestecken geklaut). Und da habe ich Jacques kennengelernt. Der Staatssekretär für Tourismus und Handwerk. Eine jämmerliche Bezeichnung, wenn man genau hinschaut. Die Sorte stämmiger, halsloser Mann, der irgendwo reinkommt und erst mal den ganzen Raum abscannt, um sicherzugehen, dass er auch alle Blicke eingefangen hat. Der Saal war gestopft voll mit Provinzunternehmern, die wie die großen Herrschaften nach Paris gekommen waren, mit ihren aufgetakelten Frauen. Während der Veranstaltung hielt der Vizepräsident einer Handwerkskammer eine Rede. Jacques Ecoupaud kam auf mich zu, ich stand im Hintergrund an einem der Fenster, und sagte zu mir, sehen Sie den Typen, der da gerade gesprochen hat ? Ich darauf, ja. – Haben Sie seine Fliege gesehen ? – Ja. – Ein bisschen unförmig, oder ? – Ja, stimmt, sagte ich. – Tja, ist aus Holz, sagte Jacques Ecoupaud. – Aus Holz ? – Der Bursche ist Handwerker, Zimmermann. Er hat eine Fliege aus Holz geschnitzt, die er mit Pliz zum Glänzen bringt, sagte Jacques. Pliz-Sprühwachs. Ich musste lachen, und Jacques lachte auch, sein halb verführerisches, halb wahlkämpferisches Lachen. – Und der mit seinem Aktenköfferchen aus Samt, à la James Bond ? Wissen Sie, wie der heißt ? Frank Ravioli. Der verkauft Kroketten für Hunde. Am Abend darauf parkte Jacques seinen Citroën C5 unten vor meinem Haus, und wir verbrachten den ersten Teil der Nacht miteinander. Normalerweise läuft es bei mir und den Männern so, dass ich bestimme, wo es langgeht. Ich heize sie an, ich wickle sie ein, und ich verdrücke mich am frühen Morgen. Manchmal lasse ich mich vom Spiel mitreißen. Und hänge ein paar Gefühle dran. Es dauert so lange, wie es dauert. So lange, wie ich mich nicht langweile. Jacques Ecoupaud hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Bis heute begreife ich nicht, was mich dermaßen abhängig von diesem Mann gemacht hat. Ein halsloser Typ, er geht mir gerade mal bis zur Schulter. Ein x-beliebiger Phrasendrescher. Er war von Anfang an als großer Freigeist aufgetreten. Nach dem Motto, dir werd ich’s zeigen, Kleine. Er hat mich immer Kleine genannt. Ich bin sechsundfünfzig, eins sechsundsiebzig groß und habe die Oberweite von Anita Ekberg, es hat mich berührt, dass einer mich Kleine nennt. Wie albern. Großer Freigeist, von wegen. Ich weiß immer noch nicht, was das eigentlich heißen soll. Ich war bereit dazu, neue Erfahrungen zu machen. Eines Abends kam er mit einer Frau zu mir. Einer Brünetten um die vierzig, die im sozialen Wohnungsbau arbeitet. Sie hieß Corinne. Ich servierte einen Aperitif. Jacques zog sein Jackett und seine Krawatte aus und fläzte sich aufs Sofa. Die Frau und ich saßen auf den Sesseln und unterhielten uns über das Wetter und das Viertel. Jacques sagte, macht es euch bequem, meine Süßen. Wir zogen ein bisschen was aus, aber nicht alles. Corinne wirkte vertraut mit derlei Situationen. Die Frau ohne Gefühle, die tut, was man ihr sagt. Sie zog ihren BH aus und hängte ihn an eine Topfchrysantheme. Jacques musste lachen. Wir hatten beide dieselbe Sorte Reizwäsche an, die angeblich Tote zum Leben erweckt. Irgendwann breitete Jacques symmetrisch die Arme aus und sagte, kommt ! Wir kamen, jede auf eine Seite, und er schloss die Arme um uns. So verharrten wir eine Weile, albern kichernd, befühlten seinen dicken behaarten Bauch, spielten an seinem Reißverschluss herum, und dann sagte er plötzlich, also, jetzt mal ran, Mädels ! Für den Satz schäme ich mich bis heute. Ich schäme mich für unsere Lage, für das krude Licht, für das völlige Fehlen jeglicher Phantasie und Selbstbeherrschung bei Jacques. Ich hatte den Marquis de Sade erwartet und bekam einen hingelümmelten Typen, der sagte Also, jetzt mal ran, Mädels   ! Aber damals war mein Motto immer Schwamm drüber. Wenn die Männer uns nur eine einzige gute Eigenschaft zubilligen wollten, wäre es diese. Wir rehabilitieren sie. Wir werten sie auf, so gut es geht. Wir wollen nicht wissen, dass der Fahrer früher mal Zöllner war, dass der Bodyguard ein Bauer

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