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Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Reza
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Alter ist das wichtig, eine Hand zum Festhalten. Ich werde wie eine Ratte enden. Anita wird dir sagen, dass ich es verdient habe. Noch ein idiotischer Satz. Was hat das mit Verdienen zu tun ? Ich habe eine prachtvolle Wohnung auf die Beine gestellt, prachtvollen Besitz, glauben die etwa, dass so was vom Himmel fällt ? Warum lege ich mich wohl krumm, gehe um acht Uhr los und um Mitternacht ins Bett, begreift sie nicht, dass ich das alles für sie tue ? Und die Jungs, zwei Nullen, die alles kaputtmachen werden, begreifen die nicht, dass das alles für sie ist ? Nein. Kritisieren, kritisieren, kritisieren. Und eine Romanze mit einem Trottel, der Frangipanis pflanzt. Mir wär’s lieber gewesen, sie wär mit einer Frau abgezogen. Ich fragte ihn, sitzt du gut in diesem Sessel ? – Sehr gut. Am Vorabend hatte Ernest ihn knapp eine Minute lang ausprobiert und sich dann für den Klappstuhl entschieden. Als ich Darius zuhörte, fiel mir ein Nachmittag ein, den ich mit Dina zu Hause verbracht hatte, mit Aufräumen. Wir hatten alte handbestickte Wäsche gefunden, die von ihrer Mutter kam, und ein schönes Service aus Italien. Und uns gefragt, wozu soll das jetzt gut sein ? Dina hatte eine Tischdecke über ein Sofa gebreitet. Sorgfältig gebügelt, etwas vergilbt. Sie hatte die verzierten Porzellantassen darauf aufgereiht. Gegenstände, die irgendwann einen Wert haben, werden mit der Zeit zu unnötigem Ballast. Ich wusste nicht, was ich Darius sagen sollte. Jedes Paar ist ein unergründliches Rätsel. Es bleibt unbegreiflich, selbst wenn man ein Teil davon ist. Dr. Chemla kam ins Zimmer. Lächelnd und nett wie immer. Ich war froh, ihn zu sehen, denn bei mir im Arm setzte der Wundbrand ein. Ich stellte die beiden einander vor, Darius Ardashir, ein guter Freund, Dr. Philip Chemla, mein Retter. Und setzte sofort nach, finden Sie nicht, dass mein Arm geschwollen ist, Dr. Chemla ? Meiner Meinung nach geht die Infusion an der Vene vorbei. Chemla tastete meine Finger und meinen Unterarm ab. Er sah sich mein Handgelenk an, drehte am Dosierungsrad und sagte, wir machen noch den Beutel zu Ende, dann ist Schluss. Morgen sind Sie zu Hause. Ich schaue heute Abend noch mal nach Ihnen, dann gehen wir ein Stück den Korridor entlang. Als er draußen war, sagte Darius, was hattest du denn genau ? – Eine Blaseninfektion. – Wie alt ist er denn, dein Onkel Doktor ? – Sechsunddreißig. – Zu jung. – Ein Genie. – Zu jung. Ich sagte, und, was wirst du machen ? Er beugte sich vor, öffnete die Arme, als wollte er das Nichts hochheben, und ließ sie wieder fallen. Ich sah, wie sein Blick über meinen Nachttisch schweifte, und er sagte, was liest du ? – Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden . – Hast du nichts Besseres fürs Krankenhaus gefunden ? – Das ist perfekt fürs Krankenhaus. Wenn es dir schlechtgeht, musst du traurige Bücher lesen. Darius nahm das Buch in die Hand, das sehr dick ist. Mit erloschenem Blick blätterte er darin. – Du empfiehlst es mir also. – Dringend. Immerhin lächelte er. Er legte das Buch wieder hin und sagte, sie hätte mich vorwarnen sollen. Ich kann nicht akzeptieren, dass sie mich heimlich betrogen hat. Obwohl Chemla es überprüft hatte, kam es mir so vor, als würde mein Arm anschwellen. Ich sagte, schau dir mal meine Arme an, findest du, sie sind gleich dick ? Darius erhob sich halb, setzte seine Brille wieder auf, betrachtete meine Arme und sagte, exakt gleich. Dann setzte er sich wieder hin. Wir blieben kurz schweigend sitzen und lauschten den Geräuschen auf dem Korridor, die Rollwagen, die Stimmen. Dann sagte Darius, die Frauen haben die Märtyrerrolle an sich gerissen. Sie haben lautstark eine Wissenschaft daraus gemacht. Sie jammern und lassen sich bemitleiden. In Wahrheit ist der Mann der Märtyrer. Als ich das hörte, dachte ich an einen Satz meines Freundes Serge, da fing es gerade mit seinem Alzheimer an. Er wollte, ich weiß nicht mehr warum, in die Rue de l’Homme-marié. Kein Mensch wusste, wo die lag, die Straße des verheirateten Mannes. Bis uns dann klar wurde, dass er von der Rue des Martyrs sprach. Die Anekdote erzählte ich Darius, der Serge entfernt kannte. Er fragte, wie geht es ihm denn ? Ich sagte, na ja. Man darf ihm vor allem nicht widersprechen, ich gebe ihm immer recht. Darius nickte. Er fixierte einen Punkt am Boden, Richtung Tür, und sagte, eine wunderbare Krankheit.

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