Glücklich die Glücklichen
ein Kind. Ich fragte Darius, ob er etwas trinken wolle. Er lehnte ab, und die Schwester ging raus. Ich sagte, also. Ist dieser Landschaftsgärtner mehr als ein vorübergehender Anfall von Wahnsinn ? – Sie will sich scheiden lassen. Ich ließ eine Weile verstreichen und sagte dann, du hast Anita nie große Bedeutung beigemessen. Er sah mich verblüfft an, als hätte ich etwas Irrsinniges von mir gegeben. – Sie hat das beste Leben geführt, das man sich vorstellen kann. Ich verstehe wohl, sagte ich. – Ich habe ihr alles gegeben. Sag mir etwas, das sie nicht bekommen hat. Häuser, Schmuck, Personal. Phantastische Reisen. Sie kriegt nichts, Jean, gar nichts. Mein Vermögen liegt komplett in den Unternehmen. Die Villa in Gassin, die Wohnung in der Rue de la Tour, die Möbel, die Kunstwerke, das läuft alles nicht unter meinem Namen. Die können verrecken. – Du hast sie Tag und Nacht betrogen. – Zusammenhang ? – Du kannst ihr nicht verdenken, dass sie sich einen Geliebten genommen hat. – Frauen nehmen sich keinen Geliebten. Sie verlieben sich, sie phantasieren sich einen Film zusammen. Sie werden komplett verrückt. Ein Mann braucht einen sicheren Ort, um der Welt gegenübertreten zu können. Du kannst dich nicht entfalten, wenn du keinen Fixpunkt hast, kein Basislager. Anita ist mein Zuhause. Die Familie. Wenn du Lust auf frische Luft hast, heißt das doch nicht, dass du deshalb keine Lust mehr hast, nach Hause zu kommen. Ich binde mich nicht an die Frauen, die einzige, die zählt, ist die nächste. Und diese dumme Kuh schläft mit dem Landschaftsgärtner und will mit ihm durchbrennen. Ist doch völlig sinnlos. Während ich Darius zuhörte, sah ich die Infusion durch den Tropf perlen. Das Ganze kam mir seltsam unregelmäßig vor, ich war kurz davor, die Schwester zurückzurufen. Ich sagte, hättest du es denn akzeptiert, wenn sie leben würde wie du ? – Soll heißen ? – Wenn sie belanglose Abenteuer hätte ? Er schüttelte den Kopf. Er zog ein weißes Taschentuch aus der Hose und faltete es sorgfältig auseinander, bevor er sich schneuzte. Mir kam in den Sinn, dass diese Geste nur zu diesem ganz besonderen Typus Mann passte. Er sagte, nein. Weil das nicht ihre Art ist. Dann sagte er düster: Die letzten zwei Tage war ich in London – eine wichtige Reise, die sie mir total verdorben hat –, und bei der Rückfahrt blieb der TGV ein paar Minuten irgendwo oben in Frankreich in einer Vorstadtgegend stehen. Direkt vor meinem Fenster befand sich ein kleines Einfamilienhaus, roter Backstein, rote Dachschindeln, gepflegter Holzzaun. Geranien vor den Fenstern. Und an den Wänden hingen Ampeln mit weiteren Blumen. Weißt du, was ich dachte, Jean ? Ich dachte, in diesem Haus hat jemand beschlossen, dass man glücklich sein muss. Ich glaubte, er würde weitersprechen, aber er schwieg. Er blickte finster zu Boden. Ich dachte, der ist ja völlig am Ende. Dass ein Darius Ardashir Klinker und Makramee als Indizien des Glücks betrachtet, ist die Signatur des Zusammenbruchs. Ja, ganz einfach, dachte ich, und noch beunruhigender, was ihn betrifft: dass er das Glück als Ziel bezeichnen kann. Was mich betraf, ich musste dringend die Ärzteschaft alarmieren, weil durch die Schläuche unentwegt Luftblasen auf meinen Arm zutrieben. – Weißt du, wie alt Anita ist ?, fragte Darius. – Sind die normal, diese Luftblasen ? – Welche Luftblasen ? Das sind Tropfen. Das ist das Medikament. – Meinst du ? Sieh mal genauer hin. Er holte seine Brille hervor und stand auf, um sich den Tropf genauer anzuschauen. – Tropfen. – Sicher ? Klopf mal auf den Beutel. – Wozu denn das ? – Klopf mal. Los, klopf. Das hilft. Darius klopfte auf den Beutel mit der Lösung und setzte sich wieder hin. Ich sagte, ich sehe nichts mehr. Ich hab die Nase voll von diesem Schlauchgewirr. – Weißt du, wie alt Anita ist ? – Sag schon. – Neunundvierzig. Findest du, das ist das richtige Alter für solche Selbstverwirklichungsträume, für große Leidenschaft und solchen Unsinn ? Ich denke oft an Dina, weißt du, Jean. Du hattest eine Frau, die das Leben verstanden hat. Dina ist im Himmel. Ihr habt kein Paradies, ihr Juden, oder, was habt ihr eigentlich ? – Nichts haben wir. – Na schön, also, bestimmt geht es ihr sehr gut. Sie hat dir deine Söhne hinterlassen, sie sind liebenswürdig, sie kümmern sich um dich, deine Tochter auch, dein Schwiegersohn, deine Enkel. Ihr ist es gelungen, ein Umfeld zu schaffen. Im
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