Glücklich gestrandet
Sache eingefädelt, nicht wahr?«
»Ich fürchte, ja. Also, kann ich ihm mitteilen, dass es in Ordnung ist, wenn er bei dir vorbeikommt?«
Jo brachte mit schriller Stimme ein Ja hervor und legte dann auf. Sie erhob sich und fuhr sich einige Sekunden lang mit den Fingern durchs Haar, um sich die Kopfhaut zu massieren und ein wenig von ihrer Anspannung loszuwerden. Dann besah sie sich den Zustand des Raumes und kam zu dem Schluss, dass im Boot das reinste Chaos herrschte. Jetzt wünschte sie, sie hätte Dora und Tom nicht in den Pub geschickt. Zu dritt hätten sie das Boot im Handumdrehen auf Vordermann gebracht. Allein hatte sie nur sehr wenig Zeit, Prioritäten zu setzen. Sie hatte für einen Tag genug Schocks erlitten. Jetzt erwartete sie jeden Augenblick einen Mann, der sie vor all den Jahren ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte und den etliche Leute für arrogant hielten. Vor allem aber kam er, um das Boot unter die Lupe zu nehmen – und es war eine Müllkippe. Sie atmete tief durch, und einen Moment später warf sie mit einer Hand Geschirr in die Spülmaschine und füllte mit der anderen den Kessel. Nach einigen schnellen Runden mit dem Staubsauger war das Boot beinahe präsentabel. Anschließend nahm Jo sich fünf Minuten Zeit, um sich um ihr eigenes Aussehen zu kümmern. Sie besprühte sich gerade mit Parfüm, als das Telefon klingelte.
»Marcus Rippon hier. Ich werde dein Boot nach Holland bringen.«
Jo wurde plötzlich klar, dass sie seine Stimme erkannte: sexy, humorvoll und eine Spur beunruhigend. »Michael hat mir schon erzählt, dass du anrufen würdest.«
Jo blickte auf, als sie seine Stimme vom Anleger hörte. Sie stand im Bug und ging mit einer steifen Bürste durch die Speigatten, um einen Vorwand zu haben, auf Deck zu sein, sodass sein Erscheinen keine Überraschung für sie sein würde. Sie erkannte ihn sofort. »Marcus«, sagte sie leise, legte ihre Bürste auf Deck und ging ihm entgegen.
»Joanna«, erwiderte er, als sie ihn erreichte. »Ich hätte dich überall erkannt.«
»Wirklich?« Sie war sofort argwöhnisch. Viele Jahre waren verstrichen, seit sie einander das letzte Mal gesehen hatten, und sie waren nie besonders gut miteinander bekannt gewesen. Sie musste inzwischen ganz anders aussehen – aber schließlich hätte sie ihn ebenfalls überall erkannt. »Warst du bei meiner Hochzeit? Ich kann mich nicht erinnern.«
Marcus schüttelte den Kopf. »Nein. Ich war im Ausland. Können wir hineingehen? Da ich ohnehin schon mal hier bin, möchte ich mich gern etwas umsehen, bevor ich die Hildegarde wegbringe«, erklärte er ziemlich schroff.
»Es ist eine Schande, dass du die Rallye versäumt hast«, bemerkte Jo, während er an Bord kam.
»Ganz und gar nicht. Ich hatte Glück, mich der Sache entziehen zu können. Carole liebt es, das Boot vorzuzeigen. Ich hasse es.«
Sie gingen ins Ruderhaus, und während Marcus sofort im Motorraum verschwand, grübelte Jo über ihn nach.
Er hatte sich nicht sehr verändert, obwohl sie auf die wenigen Veränderungen vorbereitet gewesen war, da sie ein Foto von ihm gesehen hatte. Sein Haar, das früher sehr dunkel gewesen war, war jetzt grau, doch es war immer noch dicht und gewellt. Sie fand, dass er größer und breiter war als früher, aber wahrscheinlich kam ihr das lediglich so vor, weil sie sich in dem relativ beengten Raum des Ruderhauses befanden. Er wirkte tatsächlich ziemlich arrogant und barsch, doch vielleicht war er einfach nur konzentriert und hatte nicht viel Zeit. Und eingedenk der Tatsache, dass er weder eine Ehefrau noch mehrere Kinder hatte, litt er immer noch unter Bindungsangst. Obwohl sie es hasste, sich das einzugestehen, war er immer noch sehr attraktiv. Die arme Carole!
Sie ließ ihn im Motorraum allein und ging nach unten, um sich um eine Erfrischung zu kümmern. Würde er Kaffee wollen oder Wein? Das hing vermutlich davon ab, ob er heute Abend noch irgendwo anders hinwollte. Wenn er nur auf die Hildegarde zurückkehren musste, würde er vielleicht gern etwas Alkoholisches trinken. Andererseits wartete Carole bestimmt auf ihn, sodass er wahrscheinlich nicht lange würde bleiben wollen.
Jo verspürte eine Schüchternheit, die sie seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Sie war normalerweise nicht schüchtern, doch Marcus hatte ihr immer schon das Gefühl gegeben, ein wenig fahrig und töricht zu sein. Vermutlich fiel ihr Gehirn nun gewohnheitsmäßig in das alte Muster zurück. Er hat immer nur in den höchsten Tönen
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