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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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wusste keinen anderen Ausweg. Franzi wird einstweilen vom Anwalt unserer Familie vertreten. Er ist ein Wirtschaftsanwalt, eine Art Vermögensberater, und ein etwas windiger Typ obendrein. Selbst er hält es für besser, wenn Franzi einen ordentlichen Strafverteidiger bekommt. Und so habe ich eben gehofft, dass Victor uns helfen könnte …“
    „Mein Vater ist nicht wohlhabend“, sagte ich. „Im Grunde lässt er sich von seiner jetzigen Freundin aushalten.“
    „Mit Hilfe eines guten Strafverteidigers könnte deine Schwester mit fünf Jahren Gefängnis wegen Totschlags davonkommen.“ Die emotionalen Zwischentöne beherrschte Walpurga besser als ich.
    Mein demonstratives Gähnen übersah sie geflissentlich. Ich hatte keine Lust, mich von ihr weiter mit familiären Problemen traktieren zu lassen. Normalerweise wurde ich gut dafür bezahlt, wenn ich mir Familiendramen anhörte.
    „Sei mir nicht böse, aber ich kann die Augen nicht mehr offen halten, ich muss ins Bett“, sagte ich und küsste sie, falsch, wie ich manchmal sein kann, links und rechts auf die Wange.
    Obwohl ich bei Walpurgas Erzählung fast eingenickt wäre – es war ein langer Tag für mich gewesen –, hatte ich Probleme einzuschlafen. Das Laken war feucht, die Tuchent klamm. Aus allen Ecken hörte ich Kratzen und Scharren. Auch das Rascheln der Baumkronen vor dem Fenster machte mich nervös. Außerdem hatte ich schon wieder Hunger. Ich hätte mir ein Hotelzimmer nehmen sollen. Ich war zu alt für private Unterkünfte inklusive Familienanschluss.
    Ein Blick auf den Reisewecker: Halb zwölf vorbei. Ich richtete mich im Bett auf, tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe, schaltete sie ein und stand auf. Zog mich noch einmal an und ging hinaus auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen.
    Im Schloss herrschte absolutes Rauchverbot. Obwohl: nachdem, was ich am Abend zu hören bekommen hatte, wäre es vielleicht gar keine so schlechte Idee gewesen, die alte Hütte abzufackeln. Walpurga hatte bestimmt eine gute Brandschutzversicherung.
    Nach den ersten Zügen ließ das flaue Gefühl in meinem Magen nach. Ich hörte auch auf zu zittern. Entweder war es hier draußen wärmer als in meinem Zimmer, oder mein schicker, neuer Wollmantel war sein Geld wert.
    Vier Schläge ertönten von der Kirchturmuhr. Ich zündete mir eine zweite Zigarette an. Gleich darauf hörte ich die zwölf Mitternachtsschläge.
    Ein leises Geräusch. Kam es von unten, vom Laubwald herauf? Raschelten die Büsche unterhalb der Terrasse im Wind? Nein. Das Rascheln der Blätter klang anders. Schritte? Ein Tier? Eine Katze? Ein streunender Hund, ein Fuchs? Nein. Tiere machten keine so regelmäßigen Geräusche. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Kam da jemand über die Wiese heraufgeschlichen? Meine Handflächen wurden feucht, meine Kehle hingegen staubtrocken. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, presste meinen Rücken gegen die Hausmauer und hielt den Atem an.
    Es war nicht sehr dunkel. Wenn er näher kam, würde er mich, trotz meiner schwarzen Kleidung, sehen.
    In einem Fenster des Eckzimmers zeigte sich ein schwacher Schein. Die Vorhänge waren nicht ganz geschlossen. War Walpurga wieder aufgestanden? Sie hatte sich doch vorhin gleich schlafen gelegt, war angeblich ebenfalls total erschöpft gewesen. Sie schlief in ihrem Schlafzimmer im ersten Stock, hatte sie vorhin zumindest behauptet.
    Vielleicht sollte ich laut schreien?
    „Joe? Joe Bellini?“, hörte ich eine angenehme Männerstimme von der Treppe her rufen. „Frier dir nicht den Arsch ab wegen einem Tschik. Komm rüber zu mir. Bei mir ist Rauchen erlaubt. Ich mach uns noch einen Gute-Nacht-Drink.“
    „Sie haben mich erschreckt“, sagte ich erleichtert und streckte dem jungen Mann, der über die Treppe heraufkam, die Hand hin.
    „Ich bin Mario. Hoffe, ich muss nicht Tante zu dir sagen. Du bist viel zu hübsch für eine Tante“, scherzte er.
    Neugierig musterte ich den fast glatzköpfigen Burschen.
    „Du bist Franzis Sohn?“ Ich bemühte mich, meine Überraschung zu verbergen. Der junge Mann sah aus wie dreißig, und Franzi war nur ein halbes Jahr älter als ich, also gerade mal fünfundvierzig.
    „Lass uns außen rumgehen, sonst wecken wir womöglich die Alte auf – sie hat Ohren wie ein Luchs“, sagte er, sichtlich amüsiert über meine Verwirrung.
    Ich folgte ihm und verzichtete darauf zu erfahren, wer sich um diese späte Stunde in Walpurgas Arbeitszimmer aufhielt.
    Die kleine Orangerie lag unweit des

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