Glückliche Ehe
Der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben. Enrique nahm ihn fest in die Arme und klopfte ihm sanft auf den Rücken, bis Larry sich wieder beruhigt hatte.
Der nächste, der von seinen Gefühlen überwältigt wurde,war eine halbe Stunde später Margarets Vater. Mit gebeugten Schultern schlich Leonard durchs Wohnzimmer, um Enrique in der Küche zu stellen, was in dem kleinen, fensterlosen Raum nicht weiter schwer war. Enrique, der müde war und Kopfschmerzen hatte, machte sich gerade um halb zwei mittags die sechste Tasse Kaffee. Leonard trat neben ihn an den Herd und legte ihm die Hand auf den Unterarm, ein untrügliches Signal, dass es um etwas Wichtiges ging. »Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber was kostet das Grab in Green-Wood?«
»Green-Wood?«, versuchte Enrique erst mal Zeit zu schinden. Was würde jetzt kommen? Protest, dass es zu teuer sei? Das Angebot, die Kosten zu übernehmen? Beides musste er zurückweisen, aber ohne den alten Mann zu quälen. Leonard war der Patriarch, unangefochten selbst von seinem älteren Sohn, der ihn, was das berufliche Ansehen betraf, überholt hatte. Doch dass seine Tochter sterben würde, hatte Leonard mitten ins Herz getroffen; er wirkte von Stunde zu Stunde blasser und schwächer, als wäre er am Verbluten.
Manchmal, wenn Enrique das verlorene Gesicht seines Schwiegervaters musterte, dachte er, dass Leonard Margaret allenfalls ein paar Wochen überleben würde. In diesen beiden Tagen war das Leid ihrer Eltern für ihn sichtbarer, ja greifbarer geworden als in den ganzen zwei Jahren und acht Monaten zuvor, und das lag nicht nur daran, dass das Ende jetzt so nah war. Bisher waren die Besuche sowohl von Margarets Seite als auch von ihren Eltern sorgsam auf eine gewisse Dauer beschränkt worden. Manchmal hatte er es Leonard und Dorothy verübelt, dass sie nur so kurz blieben, und sie dafür verachtet, was insofern verfehlt war, als Margaret sie ja fernhalten wollte. Aber jetzt war Enrique froh, dass Dorothy und Leonard es ihm erspart hatten, ihre Trauer mit ansehen zu müssen.
Enriques Mutter hatte das nicht getan. Sie wollte, dass ihr Schmerz im Mittelpunkt stand. Jeden Samstagmorgen, wenn er Rose in der betreuten Wohnanlage in Riverdale besuchte, musste er ihre Hand halten, während sie über Margarets Krankheit weinte, und ihr versichern, dass er und die Jungen damit zurechtkamen. »Das wird euch nicht möglich sein«, sagte sie dann, auf ihrer Weltuntergangsstimmung beharrend. Die untröstliche Rose zu trösten war für ihn Routine, die Rolle, die er seiner depressiven Mutter gegenüber sein Leben lang innegehabt hatte. In dieser Krise jedoch strengte es ihn so sehr an, dass er auf der Rückfahrt hinter seinen geschlossenen Autoscheiben schrie und unbedingt ein kurzes Schläfchen machen musste, ehe er dann wieder in relativ ausgeglichener Stimmung bei seiner sterbenden Frau saß. Der Gegensatz dieser elterlichen Reaktionen machte Enrique klar, dass ihm die Familie seiner Frau auf indirekte Art geholfen hatte, Margaret den Trost zu geben, den sie ihr nicht geben konnten. Dorothy und Leonard waren – wie seine Eltern für ihn – nicht immer so, wie Margaret sie gern gehabt hätte, aber sie hatten eine Möglichkeit gefunden, ihr die Hilfe, die sie brauchte, trotz des Embargos zwischen ihren Herzen zukommen zu lassen.
»Es ist nicht viel Geld«, sagte er zu Leonard, in der Hoffnung, die Hilfsbemühungen des gebrochenen alten Mannes auf diese Weise abwimmeln zu können. Leonard hatte sich sein Leben lang um die Probleme seiner Frau, seiner Kinder und Enkel gekümmert, aber in diesem Fall konnte er nichts ausrichten.
»Wie viel?«, fragte Leonard streng.
»Zehntausend«, rapportierte Enrique.
»Ach? Mehr nicht?«, wunderte sich der alte Mann. »Obwohl nur so wenige Gräber verfügbar sind?«
Enrique, der sonst durchaus zu einer satirischen Betrachtung der Dinge neigte, fand es nicht komisch, dass Leonardsich in dieser Situation Gedanken über Angebot und Nachfrage machte. Das war nun mal seine Art, mit der Welt umzugehen. Wann sollte er in solchen Überlegungen Zuflucht suchen, wenn nicht jetzt? »Na ja, ich nehme an, die Leute wollen große Grabstellen kaufen, nicht nur versprengte einzelne Gräber«, sagte Enrique im Gedanken an Dorothy, die nie auf die Idee käme, sich ein einsames Grab zwischen lauter Gojim aus dem vorvorigen Jahrhundert auszusuchen.
Leonard sah nachdenklich drein – vollzog die Preisbildungsmechanismen nach, dachte Enrique. Unter normalen
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