Glückliche Ehe
mustern. Ihre Lippen waren versiegelt, ihre Körper reglos, und ihre Augen hingen an ihm, als hätte er sie durch einen Zauber gebannt. »Ich habe dann eine Rente von etwa hunderttausend im Jahr, davon und von unseren Ersparnissen müsste ich, selbst wenn ich gar nichts mehr verdienen würde, ganz gut leben können. Zumal, wenn ich nicht mehr auf so großem Fuß lebe.«
Stille. Leonard blinzelte und seufzte. Dorothy brach schließlich das Schweigen: »Zwei Millionen.«
»Etwas über zwei Millionen in Aktien und –«
Sie fiel ihm ins Wort. »Zwei Millionen sind nicht viel. Heutzutage ist das nicht mehr viel Geld. Und du hast dochkeine Ahnung, wie sich deine Einkommensverhältnisse weiterentwickeln. Hollywood ist nicht verlässlich«, erklärte sie und küsste ihn wieder auf die Wange, was noch bemerkenswerter war. In ihrem knappen Muss-auf-den-Zug-Ton setzte sie hinzu: »Mach dir keine Sorgen. Margaret wollte, dass wir ihr versprechen, uns um dich zu kümmern, und ich habe ihr gesagt, du bist doch wie ein Sohn für uns. Natürlich kümmern wir uns um dich.« Sie drehte sich abrupt um und rief hinaus: »Rob? Bist du noch oben?« Sie verschwand aus der winzigen Küche, und Enrique hörte sie rufen: »Wenn du fertig bist, möchte ich Margs etwas fragen. Rob, bist du noch dort oben?«
Verwirrt sah Enrique Leonard an, der ihn seinerseits mit matten Augen musterte. Er schien darauf zu warten, dass Enrique etwas sagte. Enrique hatte mehr mit seiner Schwiegermutter gemeinsam, als er zugeben wollte: Auch er glaubte, dass das Thema Geld ein sehr wichtiges war, vor allem für andere. So war er etwa überzeugt, dass der Preis des Grabs für Leonard von viel größerer Bedeutung war als für ihn selbst, obwohl es dafür keinerlei Hinweis gab. Er glaubte, Leonard sei noch nicht überzeugt, dass Enrique die Kosten für das Grab wirklich übernehmen konnte, also sagte er: »Jedenfalls sind die zehntausend für mich nicht viel. Margaret hat mich gebeten, das Grab für sie zu kaufen, und es bedeutet mir viel – vielleicht nehme ich das ja zu wichtig, aber ich möchte es gern bezahlen.«
Leonard nickte so langsam und ernst, dass Enrique glaubte, er stimme ihm nur zögernd zu. »Weißt du«, setzte Leonard an, hatte aber Mühe, die Worte hervorzubringen. Er musste sich erst mal räuspern. »Einer unserer Freunde hat mich gefragt: ›Bist du damit versöhnt?‹« Er hielt inne und sah Enrique an. In seinem Blick erkannte er eine Gefühlsregung, die Enrique kaum je bei seinem Schwiegervater gesehen hatte: Zorn.
»Versöhnt«, sagte Enrique, der erst mal einen Moment brauchte, um der Wende zu folgen, die das Gespräch jetzt nahm. »Versöhnt?«, wiederholte er verwirrt, obwohl er jetzt wusste, was damit gemeint war. »Versöhnt womit? Dass Margaret stirbt?«, setzte er verächtlich hinzu.
Leonard nickte mit einem verbitterten Lächeln. »›Bist du damit versöhnt?‹, hat mich mein Freund gefragt. ›Hast du’s akzeptiert?‹, hat er gefragt.« Leonards Augen füllten sich mit Tränen, als er empört die Stirn runzelte. »Ich habe gesagt: ›Es bleibt mir ja keine Wahl. Ich muss es akzeptieren. Aber ob ich damit versöhnt bin?‹« Er schüttelte den Kopf wie ein Stier, der den Degen des Matadors abzuschütteln versucht. »Nein«, verkündete er, als legte er vor Gericht einen Eid ab. »›Nein‹, habe ich zu meinem Freund gesagt.« Er sagte Freund , als meinte er Feind . »›Ich bin nicht damit versöhnt.‹« Er wankte rückwärts gegen den Herd und zitterte, während er seinen vergeblichen Trotz artikulierte: »Ich bin nicht damit versöhnt, dass meine Tochter stirbt.« Enrique umarmte ihn, nicht nur, um ihn zu trösten, sondern auch, um ihn auf den Beinen zu halten. Diese Geste kam ihm aufdringlich vor, und er rechnete schon halb damit, dass Leonard sich entziehen würde, aber der alte Mann ließ sich von Enrique halten, und zwei tiefe Schluchzer entrangen sich seiner Brust, schiere Verzweiflung, die sich Bahn brach. Sofort machte sich Leonard von ihm los, suchte und fand sein Taschentuch. »Genug damit«, erklärte er. »Das reicht. Es musste mal raus. Entschuldige«, sagte er.
»Du musst dich nicht entschuldigen«, antwortete Enrique. Margarets Vater nickte. »Ich weiß nicht, wie du das alles geschafft hast. Ich hätte es nicht gekonnt.« Und zum tausendsten Mal, wenn ihm Freunde oder Verwandte dieses Lob aussprachen, fragte sich Enrique, ob darin ein versteckter Tadel enthalten war.
Hätte er zusammenbrechen sollen?
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