Glückliche Ehe
Umständen hätte sein Schwiegervater wahrscheinlich den Katalog oder die Website sehen wollen, über die Relation der Preise der mausoleumgroßen Parzellen im neuen Teil von Green-Wood zu denen der beengten Grabstellen im denkmalgeschützten alten Teil sinniert und vermutlich die ungünstige Lage des Friedhofs in Brooklyn für Leute, die aus wohlhabenden Gegenden wie Long Island kamen, gegen alle möglichen anderen Faktoren abgewogen. Enrique sah Leonard im Geist zu dem Schluss kommen, dass die Betreiber von Green-Wood mehr verlangen müssten, und stolz verkünden, dass seine Tochter ein Schnäppchen gemacht hatte. Aber da schätzte Enrique die Gedankengänge seines Schwiegervaters falsch ein. »Ich will ja nicht indiskret sein«, erklärte Leonard schließlich, »aber sind zehntausend für dich nicht eine Menge Geld?«
Dorothy erschien ohne Vorwarnung und redete schon los, während sie die überfüllte Küche betrat. »Du trinkst noch mehr Kaffee? Ist das nicht zu viel? Na ja, wahrscheinlich hast du’s nötig.« Ganz gegen ihre Gewohnheiten küsste sie Enrique auf die Wange. »Schläfst du überhaupt je?«
»Dorothy!«, sagte Leonard scharf.
»Was?«, sagte sie, obwohl sie nach über fünfzig Ehejahren seinem Ton entnehmen konnte, dass sie störte. Sie stellte sich unschuldig. »Ich wollte nur wissen, worüber ihr redet.Nicht, dass ich neugierig wäre.« Sie lachte, amüsiert über sich selbst.
»Ich habe Enrique gefragt, was das Grab kostet. Er sagt, sie wollen zehntausend –«
»Zehntausend?«, sagte sie mit derselben uneindeutigen Miene, mit der sie auch darauf reagiert hatte, dass Margarets Rabbi Buddhist war. Fand sie zehntausend wenig oder, in Anbetracht dessen, dass sie sich nie ein so einsames Grab aussuchen würde, zu viel?
»Ich habe Enrique gefragt, ob das für ihn nicht eine Menge Geld ist.«
»Wir wollen ja nicht indiskret sein«, sagte sie, als wäre ihr ebendies vorgeworfen worden. »Wir wollen nur nicht, dass du zu viel Geld ausgibst. Wir möchten gern helfen.«
»Nein, es ist nicht zu viel«, sagte Enrique. Nachdem sein erster Roman verfilmt worden war, was ihn endlich zu einem solventen Mann gemacht hatte, hatte er Leonard und Dorothy oft sagen wollen, dass er kein knapsender Schriftsteller mehr war. Aber Margaret hatte ihm verboten, mit ihren Eltern über Geld zu reden. Als er gefragt hatte, warum, hatte sie gesagt: »Sie würden es nicht verstehen.« Was absurd schien, wo Leonard doch mehr von Geld verstand als die meisten Menschen auf dieser Welt und auch Dorothy offenbar die Auswirkungen finanzpolitischer Entscheidungen auf den Aktienmarkt ziemlich genau durchschaute. Aber Margaret insistierte: »Sie würden nicht verstehen, dass es bei dir immer heißt, viel Geld haben oder gar keins, und dass das, was mit einem deiner Bücher passiert ist, nichts darüber aussagt, wie es weitergeht. Sie sind wie alle Leute, Enrique, sie kapieren nicht, wie verrückt das Geschäft ist, in dem du bist, sie würden nicht begreifen, dass es nichts damit zu tun hat, wie gut du schreibst.« Sie seufzte, als hätte es sie selbst ausgelaugt, die Auf- und Abschwünge seiner Karriere aus dieser Nähe mitzuerleben. »Außerdem geht es sie nichts an!«,schloss sie in einem Ton, der, wie er wusste, keinen Widerspruch duldete. Es waren ihre Eltern, und sie regelte sein Verhältnis zu ihnen.
Aber dieses Verbot war verhängt worden, als sie gesund und quicklebendig gewesen war; jetzt, wo sie im Sterben lag, konnte er ihre Eltern nicht guten Gewissens in dem Glauben lassen, dass zehntausend Dollar seine Möglichkeiten überstiegen. »Hört zu«, sagte er, »ich erkläre euch jetzt mal meine finanzielle Situation –«
Dorothy rief panisch aus: »Keine Einzelheiten! Bitte keine Einzelheiten! Wir wollen nicht indiskret sein –«
»Es stört mich nicht«, sagte Enrique, der ihr nicht glaubte. Tatsächlich verfiel sie augenblicklich in aufmerksames Schweigen, was selten vorkam. »Wir haben etwas über zwei Millionen in Aktien und Wertpapieren. Das Haus in Maine ist etwa eine Million wert und abbezahlt. Ich habe jetzt eine Weile nicht gearbeitet und werde wahrscheinlich in Zukunft Mühe haben, viel Geld zu verdienen, weil Drehbuchautoren, wenn sie erst mal die fünfzig überschritten haben, meistens sehr viel weniger verdienen, es sei denn, sie sind weltberühmt, was ich leider nicht bin. Aber mit sechsundfünfzig kriege ich eine Rente von der Autorengewerkschaft –« Er hielt inne, um ihre stummen Gesichter zu
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