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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Dämmerlicht langsam und träge erwachte, seufzte Margaret, drehte sich wortlos zu ihm und atmete langsam und rhythmisch weiter, als schliefe sie tief. Ihr nach Badeöl duftender Arm schlang sich um seine Schulter, und kleine, kühle Finger krabbelten seinen Bauch hinunter, bis sie seinen Schwanz zu fassen bekamen – so etwas hatte sie beim Aufwachen seit ihrem ersten gemeinsamen Jahr nicht mehr getan. Wieder hatten sie ungewöhnlich entspannten, schläfrigen Sex, und er vergaß seinen Vorsatz, das heikle Thema anzusprechen. Er dachte auch nicht daran, als sie in einem Café, nicht größer als ein Zeitungskiosk, frühstückten, und dann das Peggy Guggenheim Museum suchten, das sich in einem weiteren umgebauten Palast am Canal Grande befand.
    Erst als sie sich mit dem Touristenstrom an den Kubisten und Futuristen vorbeischoben, fiel ihm das Thema wieder ein. Er achtete nicht auf die Gemälde. Er beobachtete, wie Margaret sie eingehend studierte – für ihn der wesentlich spannendere Anblick. Ihn faszinierte ihre kenntnisreiche, geheimnisvolle Methode, die Bilder wahrzunehmen: wie sie an diesem Braque rasch vorbeiging, dann vor jenem Kandinsky volle zwei Minuten stehenblieb, die Augen zusammengekniffen, als wäre das Bild unscharf, und schließlichmit einem wehmütigen Seufzer weiterging. »Gefällt dir dieses Bild?«, fragte er, und sie sagte: »Es ist okay«, worüber er lachen musste.
    Ihre Kleidung, die Wohnungseinrichtung, ihre Fotos und Gemälde verrieten ihr scharfes ästhetisches Urteil und ihre Kreativität. Sie las viel, viel mehr als er, und kannte sich mit Büchern aus. Aber es war ihr gleichgültig, ob sie originell oder tiefschürfend waren; sie las zu ihrer Unterhaltung. Von Bildern hingegen wollte sie nicht nur beruhigt oder erfreut werden. Margaret besaß eine selbst ihr rätselhafte Begabung. Für Enrique bestand der Beweis für ihr angeborenes Talent darin, dass er im Nachhinein nie rekonstruieren konnte, woher sie gewusst hatte, dass diese Farbwahl oder jene Komposition funktionieren würden. Oft schien ihr Versuch zum Scheitern verurteilt. Doch alles – von der Wahl einer Kleidungskombination bis zur Komposition eines Bildes – erwies sich stets als gelungen. Für Enrique war das der entscheidende Unterschied zwischen erworbenem Geschick und Talent, zwischen dem Lernen, was richtig sein müsse, und dem Glück, einen unfehlbaren Geschmack zu besitzen.
    Sie war ihm ein Rätsel. Und ihren gemeinsamen Freunden war sie letztlich auch ein Buch mit sieben Siegeln. Sie wurde eindeutig unterschätzt. Nur wenige von ihren Bekannten hielten sie für die Begabte in dieser Ehe. Die meisten fanden sie zwar gesellig und nett, erlebten ihn aber als denjenigen, der Dinge sagte, die provozierten oder amüsierten und dadurch in Erinnerung blieben. Wenn sich ein Freund in einer Krise befand, suchte er Mitgefühl und Hilfe bei ihm, und Margaret schimpfte, da in ihren Augen nur sie stets wusste, was zu tun war. In den ersten Ehejahren hatte sie sich darüber gewundert, dass er beliebter war, und er ebenfalls, denn er wusste ja, wie sie wahrscheinlich auch, dass sie genauso klug war wie er und mit Sicherheit gebildeter, dass ihre Einschätzung oft weniger naiv war als seine und sie deshalbvermutlich die besseren Ratschläge gab. Der wahre Grund, warum ihre Freunde ihnen so unterschiedlich begegneten, lag darin, dass sie trotz ihres offenen Lächelns und ihrer netten Konversation – im Gegensatz zu seinen selbstmitleidigen Tiraden gegen die Gesellschaft – für alle undurchschaubar blieb, dass sie einen Teil von sich an einem geheimen Ort, den nicht einmal Enrique kannte, unter Verschluss hielt.
    Margaret erklärte ihm, dass man zur Locanda Cipriani auf Torcello kostspielig mit dem Privatboot des Restaurants gelangen konnte – wie vermutlich Papa Hemingway, Madonna, Prinzessin Di und Stephen Hawkins –, aber sie wolle lieber das Vaporetto nehmen, den öffentlichen Wasserbus, das wäre lustiger. Er sah neidisch zu dem hübschen Mahagoni-Motorboot hinüber, aber was den Spaß anging, hatte sie recht: Es war interessanter, zwischen einer Bootsladung fröhlicher Touristen zu stehen, die sich nicht wie wohlhabende Reisende in Eleganz und splendid isolation hüllten, sondern plapperten und mit dem Finger zeigten und picknickten und sich beschwerten und lachten, allesamt gutgelaunt bis auf einen jungen Mann, der ziemlich grün aussah. Und Margaret freute sich wie ein kleines Mädchen daran, die Vaporetto-Crew zu

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