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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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vielleicht immer noch die Chance, mit ihr zu reden. Wenn Ambinder ihn aber anwies, das Ativan intravenös zu verabreichen, konnte sie schnell so tief in die Bewusstlosigkeit entgleiten, dass sie unansprechbar blieb, egal, ob das Fieber herunterging oder nicht. Unglücklicherweise hatte Margaret Enrique ebendiese Aufgabe übertragen: dass er ihr helfen würde, zu Hause zu sterben und dabei so wenig wie möglich mitzubekommen. Wenn das bedeutete, dass er auf den richtigen Abschied, den er sich so dringend wünschte, verzichten musste, dann sollte es eben so sein.
    »Sie hat eine PEG-Magensonde. Stimmt.« Ambinder dachte nach. Wie Enrique gleich vermutet hatte, war dem Arzt dieser Umstand entfallen. »Damit es für sie erträglicher wird …« Er schwieg. »Welches Krankenhaus ist bei Ihnen in der Nähe?«
    »Sie will zu Hause sterben. Dr. Ko hat Margaret versprochen, alles zu tun, damit das geht. Was erwägen Sie?«
    »Ihr ein Antibiotikum zu geben, damit das Fieber sinkt. Aber wenn sie eine Infusion braucht, muss ich sie ins Krankenhaus –«
    »Ich habe zwei intravenöse Einheiten Cefepim da«, unterbrach Enrique den Arzt wieder. »Die kann ich ihr geben. Sie können ja noch mehr Beutel herschicken. Das Ativan kann ich ihr auch intravenös verabreichen.«
    »Sie haben Cefepim?«
    »Ja. Zwei Beutel. Die sind von der Infektionsbehandlung im März übriggeblieben.«
    »Haben Sie die Beutel kühl gelagert?«, fragte Ambinder.
    »Ja. Ich kann sie ihr verabreichen, aber sie will keine lebensverlängernden Maßnahmen.«
    »Ein Antibiotikum wird ihr Leben nicht verlängern, solange sie keine Flüssigkeit bekommt.«
    »Das ist eben meine Frage«, sagte Enrique und schaute auf die kleine Gestalt seiner Frau, die unter einem Berg blauer Steppdecken zitterte. »Können wir das Fieber senken, damit sie in Frieden sterben kann?«
    »Vielleicht ist es keine Infektion«, sagte Ambinder.
    »Was könnte es dann sein?«, fragte Enrique, obwohl er schon ahnte, was Ambinder sagen würde. Er setzte sich auf Margarets Schreibtischstuhl, wo sie so gern mit Photoshop an ihrem Computer gearbeitet und mit ihren vor Jahren gemachten Fotos gespielt hatte – die Gegenwart veränderte die Vergangenheit, damit man sich daran in der Zukunft erfreuen würde. »Das macht Spaß«, hatte sie vor einem Jahr gesagt, als der Krebs gerade weg war und sie sich mit der Dankbarkeit der Davongekommenen wieder der Fotografie zugewandt hatte. Er war erschöpft. Schon wieder eine neue Diagnose und eine neue Therapie. Die Katakomben ihrer Krankheit schienen keinen Ausgang zu haben. Sie wollte,dass der Kampf endete. Warum war das Aufgeben nur so anstrengend?
    »Es könnten Toxine sein, die durch ein beginnendes Nierenversagen in ihr Blut gelangen.«
    Er hatte befürchtet, dass der junge Arzt genau das sagen würde. Natalie Ko hatte Enrique erklärt, dass in seltenen Fällen in einem dehydrierten Körper kurz vor dem Tod die Leber oder die Nieren Giftstoffe ausschütteten, die sie normalerweise verarbeiteten – Stoffe, die zum Delirium führten. Für diesen Fall hatte sie eine Einheit flüssiges Thorazin verschrieben, um die Symptome zu lindern. Er blickte auf den nur ein paar Schritte entfernten Minikühlschrank; außer dem Thorazin lagen darin noch drei Beutel Hydratationslösung, das Cefepim, ein Monatsvorrat intravenöses Ativan und eine Pumpe, die nötigenfalls eine kontinuierliche Zufuhr von Sedativa gewährleistete. Enrique hatte geglaubt, Thorazin sei ausschließlich zur Behandlung von Schizophrenen vorgesehen. Misstrauisch, was ein Antipsychotikum bei den Medikamenten für die letzten Tage seiner Frau zu suchen hatte, hatte er Dr. Ko gefragt, wie denn Thorazin, das doch die chemischen Vorgänge im Gehirn beeinflusste, auf die Leber- oder Nierentoxine wirken könne. Sie hatte eine typisch schwammige Ärzteantwort gegeben: »Wir wissen nicht, warum es funktioniert, aber es funktioniert.« Enrique fragte sich, ob das Thorazin die Toxine zerstörte oder deren Wirkung abschwächte. Oder ob es einfach nur ein extrem starkes Sedativum war, das die Patienten ruhigstellte und ihre strapazierten Angehörigen glauben machte, es ginge ihnen besser, während es in Wirklichkeit lediglich die Pflege erleichterte. Er vermutete Letzteres.
    »Ich habe Thorazin für diesen Fall da«, erklärte Enrique bereitwillig.
    »Ja, das entnehme ich Dr. Kos Aufzeichnungen«, sagte Ambinder. »Vielleicht geben Sie ihr eine Einheit Thorazinund warten ab, ob das hilft«, fügte er

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