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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Ein Jahr lang waren seine Tage dunkel und verzweifelt. Er schleppte sich jeden Morgen um halb neun in sein Büro und jeden Nachmittag um fünf wieder nach Hause, Hinweg, Rückweg, Hinweg, Rückweg, und seine Schritte waren schwer vor Sehnsucht, der Kopf schmerzte ihm, sein Herz krampfte sich zusammen, denn er war verdammt zu einem Leben ohne Liebe, einem ganzen langen Leben ohne auch nur die Hoffnung auf Liebe.

19 VERHINDERTE LIEBE
    M argarets Krankheit schien von irgendeiner bösartigen Intelligenz so perfide ausgeheckt, dass alles zur Unzeit kam. Ihr Zustand verschlechterte sich, als Natalie Ko wegen einer Konferenz in Atlanta vierundzwanzig Stunden nicht in der Stadt war. Der junge Bereitschaftsarzt Dr. Ambinder gab sich Mühe. Er rief Enrique sofort zurück und erkundigte sich ausführlich, aber Dr. Ko wäre aufgrund ihrer Bekanntschaft mit Margaret und Enrique wohl persönlich bei ihnen vorbeigekommen. Obwohl sie wegen ihrer Verwaltungsaufgaben keine Hospizpatienten mehr betreute, hatte sie für Margaret eine Ausnahme gemacht und hatte sie zu Hause besucht, um mit ihnen zu besprechen, wie sie sterben konnte. Immer wieder hatten sie im Kampf um Margarets Leben wegen Enriques Bekanntheit solche Sonderbehandlungen genossen, etwa, wenn es darum ging, nach Mitternacht im Krankenhaus aufgenommen zu werden, vor Untersuchungen nicht lange warten zu müssen oder die Handynummern und E-Mail-Adressen der Ärzte zu bekommen. Diese hilfreichen Privilegien gaben Enrique das Gefühl, nützlich zu sein – aber das Leben seiner Frau war trotzdem nicht gerettet worden.
    »Sie hat Schüttelfrost, und sie deliriert«, berichtete Enrique in dem neutralen Tonfall, den er inzwischen auch inPaniksituationen beizubehalten gelernt hatte, damit die Mediziner das Vertrauen in ihn nicht verlieren würden.
    »Wie hoch ist ihre Temperatur?«, fragte der junge Ambinder.
    »Ich habe sie nicht gemessen. Ihr Zustand wechselt zwischen unkontrollierbarem Schnattern und heftigem Schwitzen, so dass sie die Bettdecke wegschüttelt. Dann fühlt sie sich an wie ein Ofen. Sie ist inkohärent oder schläft, also hat sie eindeutig hohes Fieber. Wie hoch, ist doch wahrscheinlich egal, weil sie ja sowieso nicht mehr leben will, aber wenn es für Sie wichtig ist, messe ich Fieber. Im Moment wird ihr das sehr unangenehm sein. Sie hat sich unter mehreren Decken vergraben und wird unruhig, wenn ich sie aufdecke.« Früher hätte er es nie gewagt, sich einem Arzt – gleich welchen Alters – auch nur andeutungsweise zu widersetzen.
    »Nein, ist schon gut, wir brauchen ihre genaue Temperatur nicht. Haben Sie ihr gegen den Schüttelfrost Ativan gegeben?«
    »Ja, zwei Milligramm oral.«
    »Okay …«, sagte Ambinder langsam und verstummte; er war mit seinem Latein am Ende. Enrique verstand sein Dilemma. Die Ursache für Margarets Fieber sollte nicht behandelt werden. Also keine Antibiotika. Um die Fiebersymptome erträglicher zu machen, hatte sie bereits ein Sedativum bekommen. Was konnte man sonst noch tun, außer noch mehr Palliativa zu geben, wodurch sie das Bewusstsein verlieren würde?
    Enriques Schwester war gerade auf dem Heimweg gewesen und auf dem Long Island Expressway umgekehrt, als sie gehört hatte, dass Margarets Zustand sich plötzlich verschlechtere. Jetzt stand sie hilflos neben dem Bett, betrachtete Margarets – im Juni – unter zwei dicken Steppdecken verkrochene, zitternde Gestalt und fragte: »Soll ich noch eine Decke holen?«
    Enrique schüttelte den Kopf und sagte ins Telefon: »Ich habe ihr das Ativan oral gegeben, nicht intravenös.«
    »Oral ist völlig in Ordnung«, antwortete der junge Arzt.
    Enrique sagte, ohne dass es nach Besserwisserei klang: »Ähm, es ist nicht klar, wie viel Ativan sie über den Magen aufnehmen kann, wegen der PEG.«
    Ambinder widersprach selbstsicher: »Die PEJ spielt dabei keine Rolle –«
    Enrique unterbrach ihn. »Ihre PEG-Magensonde. Nicht die PEJ-Dünndarmsonde. Soviel ich weiß, wirkt die PEJ-Dünndarmsonde sich nicht auf ein oral verabreichtes Medikament aus, aber die PEG-Magensonde leitet es sofort wieder nach außen ab. Ich weiß einfach nicht, wie viel Ativan sie auf diese Weise aufnehmen kann.« Gewissenhaft wies er darauf hin, dass sie das Sedativum vielleicht besser intravenös bekommen sollte. Er wünschte, er wäre nicht so pflichtbewusst. Margaret war im Delirium, so dass man nicht mit ihr kommunizieren konnte. Das war eventuell reversibel: Wenn Enrique das Fieber senken konnte, bekam er

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