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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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unsicher und nicht gerade vertrauenerweckend hinzu.
    Enrique hatte einen eigenen Behandlungsvorschlag. »Ich könnte ihr doch Cefepim geben und dann eine weitere Dosis Tylenol als Zäpfchen. Vielleicht hilft das ja schon, und wenn nicht, können wir immer noch auf Thorazin zurückgreifen.« Es war eigennützig; auf diese Weise würde Margaret mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder zu klarem Bewusstsein kommen, und dann könnten sie miteinander sprechen. Nicht lange, nur ein kurzer Abschiedsdialog. Enrique fühlte sich endlich in der Lage, ihr zu sagen, was sie für sein Leben bedeutete. Er wollte ihr sagen, dass sie sich in ihren neunundzwanzig gemeinsamen Jahren beide verwandelt hatten, nicht nur einmal, sondern dreimal; dass er sie zuletzt nicht nur mehr gebraucht, sondern auch mehr geliebt hatte denn je, nicht als Trophäe, die es zu erringen galt, nicht als Konkurrentin, die es zu besiegen galt, nicht als eine Gewohnheit, die man nicht mehr ablegen konnte, sondern als echte Partnerin – im Denken, im Herzen und in seiner Seele. Das war seine geheime Absicht, aber er war auch überzeugt, dass diese Behandlung für Margaret das Beste war. Sie wollte so leicht wie möglich sterben, aber nicht, durch Medikamente gelähmt, in stillschweigender Qual.
    »Warum versuchen wir nicht beides?«, fragte Ambinder, als wäre Enrique der Oberarzt.
    Das Häufchen Margaret unter den Decken hatte aufgehört zu zittern. Vielleicht war sie ja eingeschlafen. »Auf mich wirkt das wie Fieber und nicht wie ein toxisches Delirium«, sagte Enrique.
    »Das ist schwer zu unterscheiden«, erwiderte Ambinder, wieder selbstbewusst.
    »Mein Vater hatte eine Gehirninfektion, ausgelöst durch eine defekte Herzklappe, und ich habe ihn zeitweise betreut, bis ich eine private Krankenschwester auftreiben konnte«,erzählte Enrique. Er hielt inne und fragte sich, warum er so ins Detail ging. Jammerte er am Ende? »Jedenfalls war das anders. Dad hatte seinen Stuhlgang nicht mehr unter Kontrolle. Er warf sich hin und her und redete wirres Zeug. Margaret dagegen zittert nur und sagt gar nichts, stöhnt höchstens oder bittet um Wasser. Im Moment scheint sie eingeschlafen zu sein.«
    »Sie geben ihr Wasser?«, unterbrach ihn Ambinder.
    »Ja. Sie hat doch eine PEG.«
    Das hatte der Bereitschaftsarzt schon wieder vergessen. Er versuchte seine Unaufmerksamkeit zu verbergen: »Aber es geht trotzdem über den Magen. Wie mit dem Ativan könnte es sein, dass sie einen Teil davon resorbiert. Das könnte die Sache verlängern.«
    »Wie lange denn? Eine Stunde? Ich will nicht, dass ihre Kehle austrocknet, wenn es nicht sein muss. Darf ich ihr wegen der Magensonde wirklich kein Wasser mehr geben?« Warum diskutiere ich überhaupt mit ihm? Er ist ja nicht hier. Ich kann doch tun, was ich will. Ich könnte sie sogar umbringen. Ich sollte sie umbringen, sollte ihr ein Kissen aufs Gesicht drücken und dem allem ein Ende machen. Oder ihr das ganze Ativan auf einmal in die Vene pumpen, damit ihr Herz stehenbleibt. Das will sie doch. Wenn ich ihr ihren Wunsch wirklich erfüllen will, sollte ich das tun.
    »Na gut«, räumte Ambinder ein. »Geben Sie ihr das Cefepim. Ich schicke eine Klinikpackung rüber. Und verabreichen Sie auch das Tylenol-Zäpfchen. Rufen Sie mich wieder an, wenn es ihr in drei Stunden nicht besser geht, dann besprechen wir das weitere Vorgehen.«
    Enrique ging ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen. Während er sie trocknete, rief er Rebecca Anweisungen zu. Er zog Handschuhe an, nahm das Antibiotikum aus dem Kühlschrank, öffnete die Versiegelung und hängte den Beutel an. Unglücklicherweise war bei Margaret keinInfusionsschlauch gelegt, und um an den Port an ihrer Brust heranzukommen, musste er die beiden Decken anheben. Und ihr vielleicht auch das Oberteil ausziehen; er wusste nicht mehr, ob sie etwas anhatte, das man nur aufzuknöpfen brauchte. Er hoffte, dass er ihr das nicht auch noch zumuten musste. Bevor er die Bettdecke zurückschlug, reichte er Rebecca das Zäpfchen und das Gleitmittel, damit alles parat war und er Margaret nicht zweimal der kalten Luft aussetzen musste.
    Monatelang hatten ihn diese pflegerischen Aufgaben von seiner Angst abgelenkt. Zeitweilig hatte er es schrecklich gefunden, mit Schläuchen und Nadeln zu hantieren und invasorische Eingriffe am Körper seiner Frau vorzunehmen, aber das tatsächliche Handeln, der Umstand, dass er ihr half, dass er ihre Furcht vor dem Kommenden linderte oder ihr Nährstoffe

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