Glückliche Ehe
werde nie aufhören, dich zu lieben«, sagte sie so selbstverständlich, als gäbe sie im Restaurant eine Bestellung auf. »Du bist mein Leben«, sagte sie schlicht.
Er drückte ihre zarte Gestalt, so fest er konnte. Sie stöhnte und murmelte: »Außer du brichst mir das Rückgrat, dann liebe ich dich nicht mehr.« Aber er lockerte seine Arme nicht, und sie wehrte sich nicht und beschwerte sich auch nicht mehr. Er wünschte, er könnte sie in sich hineinziehen, sich ihre Seele einverleiben. Er war so erleichtert, dass er seufzte – dankbar, dass das Rennen gelaufen war, dass ihm seine Mängel, seine Unzulänglichkeiten verziehen waren, dass er nicht bestraft wurde, nachdem er an Liebe, guten Absichten und großen Ambitionen so viel zertrümmert und verraten hatte. Das Leben hatte ihm Margaret geschenkt, um ihn zu heilen.
21 ENDLICH
D as Fieber ging zurück. Margaret war nicht im Koma, kam aber auch nicht ganz zu Bewusstsein. Um neun Uhr schlug Enrique die Decken zurück, um zu prüfen, ob sie noch ein Tylenol-Zäpfchen brauchte. Sie reagierte mit einem leichten Kopfschütteln, als er sie fragte, ob ihr heiß oder kalt sei, und murmelte ein schläfriges »Okay«, als er ihr Wasser anbot. Sie öffnete begierig den Mund, ließ aber die Augen zu, als wäre sie fest entschlossen, nichts von der Welt zu sehen. Sie hob zum Trinken den Kopf kaum vom Kissen, als wollte sie ihre Kraft nicht aufbrauchen. Sobald sie konnte, nahm sie wieder Embryonalstellung ein und verfiel in eine winterschlafähnliche Reglosigkeit.
Sie will in weltvergessenem Frieden gehen, dachte er und betrachtete das Gesichtsprofil über dem Lakenrand. An diesem Morgen hatte eine hellwache Margaret verkündet, dass sie ihre letzte Aufgabe erledigt hätte, die Auswahl der Kleider, in denen sie begraben werden wollte. Wieder musste er daran denken, dass ihr Wunsch, die Ohrringe zu tragen, die er ihr geschenkt hatte, ihr Abschied von ihm gewesen war – ein letztes Mal hatte sie ihm bewiesen, dass sie ihn liebte und dankbar war. Sie hatte zu ihm gesprochen, und er hatte nicht geantwortet. Er blickte hinaus in den Junihimmel, den im Westen die Abendröte färbte, und hatte eine Ahnungdessen, was bald sein Leben sein würde. Dieses Alleinsein war anders als Einsamkeit. Es war, als wäre er in seinen eigenen Schädel und sein eigenes Herz eingesperrt, ein Gefühl, das er, seit er einundzwanzig gewesen war, nicht mehr empfunden hatte. All diese Jahre war er fröhlich durch die Welt spaziert, in dem Glauben, er sei ein unabhängiges Geschöpf, das nur zufällig mit Margaret verheiratet war. Die Wahrheit ging ihm jetzt auf, da ihre endgültige Trennung nahte. Ein Teil von ihm gehörte ihr und würde deshalb mit ihr auf die Reise gehen. Verlassen. Das war das Wort. Enrique stand am Kai und winkte zum Abschied nicht, er wurde nicht nur von Margaret zurückgelassen, sondern auch von sich selbst, von dem Mann, den sie aus ihrer Liebe erschaffen hatte.
Er hängte den alten Beutel Cefepim ab und den zweiten an, schaffte es, ohne sie zu stören, da der Schlauch über der Bettdecke hing. Mit diesen menschengemachten Mitteln konnte er sie nicht zum Leben erwecken. Sie wollte vergehen wie ein Sommertag, der sanft und allmählich zur blauschwarzen Nacht wird. Etwas viel Größeres, Unergründliches rief sie. Sein Blick wanderte zu den verbotenen Beuteln mit Hydratationslösung, die in einem braunen Karton neben dem kleinen Kühlschrank lagen. Schläfrigkeit gehörte zum Sterbeprozess, hatte man ihm erklärt. Ein Liter Flüssigkeit würde womöglich wie eine Tasse starker Kaffee wirken und sie noch einmal zurückholen, damit er sein egoistisches Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, befriedigen konnte. Und er war ja nun mal ein gieriger Mensch, oder? Hatte er nicht von ihr genommen, genommen, genommen? Hatten er und seine Söhne nicht ihr Leben aufgesaugt? Hatte er sie nicht gezwungen, seine nichtsnutzigen Eltern und seinen egozentrischen Halbbruder zu erdulden? Hatte er sie nicht dem pessimistischen Pragmatismus ihrer Familie überlassen, statt ihr das Selbstvertrauen zu geben, damit sie sich ihrer Kunst widmete? Und das bisschen, was sie zwischen seinenhochwichtigen, endlos erörterten Romanen und Drehbüchern hatte erschaffen dürfen – ihre ehrlichen Fotos von Menschen, die freundlich und tapfer ihrem Leben nachgingen, ihre Porträts von Kindern, die so herzzerreißend unerschrocken einer Welt entgegenblickten, die zu groß und zu grausam war, um ihren naiven Wünschen
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