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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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immer eine Nachbesprechung gefolgt war. Telefoniert hatten Vater und Sohn fast täglich. Nachdem Enriques Pubertät ein täglicher Krieg aus Streiten oder Schweigen gewesen war, nachdem er alles darangesetzt hatte, sich den Forderungen seines Vaters zu entziehen und seinen Erwartungen zu entsprechen, waren sie schließlich fast schon ein einziges Wesen geworden. Dass Margaret die langen Kolonnen irrationaler Zahlen, aus denen Guillermos Wesen bestanden hatte, nun so mühelos addierte, war tröstlich und ärgerlich zugleich.
    Am Tag der Beerdigung war Enrique allein im Schlafzimmer, während Margaret unten das Ankleiden ihrer Söhne überwachte und gleichzeitig unermüdlich und unverdrossen seine Verwandtschaft anrief, um sicherzustellen, dass sie ihre zerlumpten Segel hisste und zur richtigen Zeit im richtigen Hafen war. Schließlich kam sie nach oben, um nach Enrique zu sehen.
    Die siebenundvierzigjährige Margaret war organisiert und gepflegt wie immer. Obwohl sie ihr strengstes Outfit trug – grauen Rock, weiße Bluse, graue Jacke, fast schon Businesskleidung –, war sie doch leichtfüßig und nach wie vor mädchenhaft hübsch mit ihrem dicken schwarzen Haar, ihremrunden, weißen Gesicht, den lebhaften blauen Augen und einem netten Lächeln. Man vertraute ihr. Sie strahlte Souveränität, Kraft und positive Energie aus.
    »Wie ist der?«, fragte Enrique und meinte seinen eleganten schwarzen Armani-Anzug. Er hatte eine rotbraune Krawatte gewählt. »Zu bunt? Sollte ich einen schwarzen Schlips tragen?«
    »Du hast keinen schwarzen Schlips«, sagte Margaret, präzise wie immer. Sie richtete seinen Krawattenknoten. »Du siehst toll aus«, sagte sie. »Guillermo wäre stolz auf dich. Es hat ihm immer gefallen, wenn du dich feingemacht hast. Einmal hat er zu mir gesagt, ich würde dafür sorgen, dass du immer perfekt gekleidet bist. Bis du mich kennengelernt hättest, seist du schlampig herumgelaufen.«
    »Du konntest seinen Kleidungsgeschmack nicht ausstehen«, sagte Enrique.
    »Er hatte ja auch einen schrecklichen Geschmack«, sagte sie und lachte, als wäre das Teil seines Charmes gewesen. »Weißt du noch, dieser Anzug, den er dir geschenkt hat!« Vor zwanzig Jahren hatte ihm Guillermo nach einem letzten erbitterten Streit – ausgerechnet über einen Film – als Friedensgabe einen Dreiteiler geschenkt, der ihm mindestens zwei Größen zu groß war. Sechsundvierzig war exakt die Größe seines narzisstischen Vaters, und der Anzug hatte einen weiten Schnitt, der dem dünnen Enrique gar nicht stand. Außerdem war er von einem seltsamen Grün, in dem Enrique laut Margaret aussah, als hätte er die Magen-Darm-Grippe. »Verrückt!« Sie lachte, als sie sich daran erinnerte. Guillermo hatte sich viel auf seinen Kleidungsgeschmack zugutegehalten. Margaret hatte das gewusst und sich nie darüber mokiert, weder über seine proletarische Vorliebe für aufdringliche Farben noch über sein Streben nach WASP-Understatement, was dazu führte, dass der Latino Guillermo schillernde Pfauenfarben bei Brooks Brothers kaufteund darin nicht wie ein Mann aus Westport aussah, sondern wie ein lateinamerikanischer Exdiktator, der in Greenwich Village Exil gefunden hatte.
    Als Margaret von dem grünen Anzug sprach, erinnerte Enrique sich allerdings nicht nur an die komischen Modevorlieben seines Vaters. Er dachte auch an jenen letzten Streit – endlose Tiraden wie bei jedem ihrer Kämpfe. Als Greg zur Welt gekommen war, hatten sie sich auf einen Waffenstillstand geeinigt. Frieden hatten sie nie geschlossen. Sie hatten sich lediglich dafür entschieden, sich nicht gegenseitig umzubringen und eine strategische Allianz zum Wohle des Namens Sabas einzugehen. Er hatte seinem Vater nie ironiefrei gesagt, dass er ihn liebte, hatte es ohnehin kaum je getan, außer beim Abschied mal oder am Ende eines Briefes. Er hatte nicht gewusst oder nicht wirklich geglaubt, dass er die Gelegenheit zu solch Dickens-haftem Ernst eines Tages nicht mehr haben würde.
    »Es tut mir leid, Puff«, sagte Margaret, wohl weil sie sah, wie traurig ihr Mann war. Sie streichelte seine Wange, stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn sachte zu küssen, und flüsterte: »Tut mir leid, dass dein Daddy tot ist.«
    All das, was er niederhielt, stieg in ihm empor, drang aus seinen Augen und verengte seine Brust. Er klappte zusammen, als hätte ihm jemand ein Kantholz in den Magen gerammt. Er merkte, wie Margaret ihn an sich zu ziehen versuchte. Er schob sie weg, verbarg sein

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