Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
musterte sich immer wieder ängstlich im Ganzkörperspiegel innen an seiner Badezimmertür. Sein ehemaliger Mitbewohner, ebenfalls Single, Sal Mingoti, der jetzt unpraktischerweise mit einer Freundin von Sylvie zusammenlebte, hatte darauf bestanden, dass Enrique sich diesen Spiegel zulegte. »Frauen brauchen das«, hatte er Enrique versichert, während sie den zwei Meter hohen Spiegel die fünf Treppen hinaufschleppten, und dann hatte er ihm geholfen, Löcher in die Tür zu bohren und Plastikhalter für den Spiegel anzubringen – für den Literaten Enrique eine schier unlösbare Aufgabe, für Sal hingegen ein Kinderspiel. Er hatte sich als einer der Ersten in jener sterbenden Kleinindustriegegend niedergelassen, die bald darauf unter dem Namen SoHo bekannt werden sollte. Sal, der sich mehr schlecht als recht als Bildhauer durchschlug, hatte sich im Ringen um den großen Preis, den Bezugsfreigabeschein für ein Loft durch die Baubehörde, zum Klempner, Elektriker, Zimmermann und Fliesenleger fortgebildet.
    Enrique hatte die riesigen Räume gemeinsam mit Sal bewohnt oder vielmehr nach seiner Trennung von Sylvie fast ein Jahr lang die meisten Nächte dort geschlafen und sich gelegentlich nützlich gemacht, indem er irgendetwas hielt, während Sal bohrte, leimte oder nagelte. Es war nett von Sal gewesen, Enrique Obdach zu gewähren. Er hatte alle Angebote einer Mietbeteiligung abgelehnt, Enrique aber gleichzeitig immer wieder sanft dazu angehalten, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Dafür hatte Enrique Sal, allerdings ohne es zu wollen, eine neue Freundin vermittelt. Sie waren wahre Freunde, obwohl Sal im Gegensatz zu BernardWeinstein mit Literatur nichts am Hut und Enriques Romane nie gelesen hatte. Ja, er schien überhaupt nie irgendetwas zu lesen und behauptete, er sei Legastheniker. Aber Sal, wiederum im Gegensatz zu Bernard Weinstein, war daran gelegen, dass Enrique bei Margaret (oder überhaupt irgendeiner Frau) landete, und so rief er etwa eine Stunde vor dem Dinner an und fragte: »Nervös?«
    »Nein«, sagte Enrique, was weniger Lüge als Selbsttäuschung war. »Es ist nur, na ja, ich … steh nicht so auf Essenseinladungen. Was ist das schon groß? Da sitzt man doch nur herum und isst und redet.«
    »Ach ja, Mr. E.?« Einer der Spitznamen, die Sal Enrique gab. »Wär dir eine Tanzfete lieber?«
    »Nein!«
    »Klar, wäre ja auch der totale Alptraum. Tanzen. Das ist wie Sex, aber nur die ganze Anstrengung – ohne den Spaß.«
    »Inklusive der Gelegenheit, sich lächerlich zu machen, aber kein bisschen Spaß«, verbesserte Enrique.
    Sal lachte auf die nette, entspannte Art eines Mannes, der weiß, wann und mit wem er das nächste Mal Sex haben wird. »Mach dich nicht verrückt. Sie mag dich, Mr. Ricky. Das ist doch sonnenklar. Sie hätte dir die Kleider vom Leib gerissen, wenn dieser Stoffel von Bernard nicht dabei gewesen wäre. Frauen unterhalten sich nicht die ganze Nacht, nur weil sie hören wollen, was Männer zu sagen haben.«
    »Warum dann eine Essenseinladung mit lauter anderen Leuten?«
    »In der Menge fühlt sie sich sicher. Sie hat ein bisschen Angst vor dir. Und das ist gut. Das ist echt gut. Genau, wie man sich’s wünscht.«
    Enrique mochte Sal. Mit ihm fühlte er sich wohl, wahrscheinlich, weil Sal, der weder schrieb noch las, Enrique nicht verübelte, dass er als Wunderkind gehandelt wurde. Und weil Enrique Sals Ansichten so gut wie nie teilte (undSals abstrakte Formskulpturen noch nicht mal für dekorativ, geschweige denn für Kunst hielt), vertraute er ihm. Er wusste, wenn er sich bei Margaret zum Trottel machte, würde Sal ihn deshalb nicht geringer schätzen, während er bei den Weinsteins dieser Welt immer auf dem Prüfstand zu stehen schien, nur einen falschen Schritt von ihrer ewigen Verachtung entfernt.
    Sal, der Schamane der Verführung, hatte noch einen letzten Rat für ihn: »Versprich mir eins. Dass du sie küsst, wenn du gehst.«
    »Was?«
    »Auf den Mund, Mr. E.«
    »Vor allen Leuten!«, rief Enrique so ungläubig und entsetzt, dass seine Stimme ziemlich schrill klang.
    »Yep.«
    »Nein!«
    »Du sollst ihr ja nicht die Zunge in den Rachen stecken. Stell dich einfach nur direkt vor sie hin, warte einen Moment und küsse sie dann sachte auf die Lippen. Das wird ihr gefallen. Glaub mir. Die Frauen wollen, dass die Männer den ersten Schritt tun, verstehst du? Sie hat dich zu einem Essen mit ihren alten Freunden eingeladen, und du musst ihr jetzt zeigen, dass du nicht einfach nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher