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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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kann sie nicht leben. Das ist gefährlich.«
    Vier lange Monate waren seit jenem heiteren Tag vergangen, Monate, so grauenvoll, dass die Behandlungsjahre zuvor im Vergleich geradezu heiter erschienen. Die unerschrockene, mädchenhafte Art, mit der Margaret ihren Stardoktor bezaubert hatte, war verschwunden. Sie verkroch sich in Enriques Armen, in den Falten ihres Bettzeugs, ohne Make-up, ohne Perücke, die Haut durchscheinend vom Hungern, die Augen glänzend und weit vor Verzweiflung und von den Medikamenten; ihr Krankenhaushemd hatte hier einen braunen Spritzer Desinfektionsmittel, dort einen kleinenBlutfleck. Diese anhedonische Margaret erklärte ihrem Arzt gerade, dass ihr trotz ihres Mutes, ihrer Durchsetzungskraft, ihres Charmes und ihrer Folgsamkeit nichts mehr geblieben war. Diese Margaret, die jetzt den Tod akzeptieren wollte, war in der Tat ganz anders.
    »In Ordnung, ich werde Sie jetzt erst mal allein lassen«, sagte er, nicht gewillt, sich geschlagen zu geben. »Sie sind ja über Nacht hier. Also werden wir morgen darüber sprechen –«
    »Nein«, rief Margaret aus. »Bitte, ich kann darüber nicht mehr sprechen.« Sie vergrub ihr Gesicht in Enriques Armen und schluchzte. »Ich kann nicht, kann nicht, kann nicht mehr«, wimmerte sie immer wieder, hysterisch vor Verzweiflung.
    Der Wunderdoktor trat von seinem Dirigentenpult zurück und stolperte zur Tür. Er sah Enrique in die Augen und sagte leise, aber bestimmt: »Wir werden darüber reden.«
    Enrique hatte den Mund gehalten, während der große Mann sein Plädoyer vortrug, weil Margaret recht hatte und die Argumente des Arztes von den Fakten nicht gestützt wurden. Doch als sie jetzt aufhörte zu schluchzen und er ihr neue Taschentücher reichte und die durchnässten abnahm, konnte er nicht anders, als zu sagen: »Mugs, vielleicht ist da ja etwas dran an dem, was er sagt. Du könntest doch noch einen Monat auf PE bleiben und eine weitere Dosis –«
    Sie wich vor ihm zurück, so entsetzt über diese Worte wie über nichts, was er je zu ihr gesagt hatte.
    »Puff!« Es war ein geflüsterter Schrei. »Puff! Puff!«, wiederholte sie – der albernste, privateste und liebevollste ihrer Kosenamen für ihn. »Du musst mir helfen!« Sie schnappte nach Luft, als ob ihre Gefühle ihr die Kehle zuschnürten. »Ich kann das nicht ohne dich! Ich kann das nicht allein! Ich habe nicht die Kraft zum Streiten! Du musst für mich mit ihnen kämpfen! Du musst mir helfen zu sterben! Es tut mirleid, es tut mir leid, es tut mir leid. Ich weiß, es ist nicht fair, ich weiß, ich mute dir zu viel zu –«
    Und das war alles, was er sie sagen ließ, beschämt, weil er es irgendwie fertiggebracht hatte, dass eine Frau, die viel zu jung sterben würde, das Gefühl hatte, sich bei ihm entschuldigen zu müssen. Er drückte ihren zerbrechlichen Kopf mit den wenigen dünnen Haaren an seine Brust und sagte flehentlich: »Entschuldige, es tut mir leid, ich habe das nicht so gemeint, es tut mir leid«, und sagte dann ungefähr tausendmal: »Ich liebe dich.«
    Sie beantwortete jede seiner Beteuerungen mit: »Ich liebe dich so sehr. Ich liebe dich so sehr«, und sagte das » so sehr«, als drückte sich darin eine bedeutsame Entwicklung aus – dass ihre Gefühle für ihn jetzt noch stärker waren und sie das erst kürzlich erkannt hatte.
    Ihr Schluchzen verebbte allmählich, und sie seufzte sich in einen weiteren bewegungslosen Ativan-Schlaf. Er lag neben ihr und küsste gelegentlich ihre Stirn, die weich und feucht war wie die eines Babys. Wenn sie aufwachte, dachte er, würden sie auf eine Art über ihre Ehe sprechen, wie sie es noch nie getan hatten, es jetzt aber tun mussten.
    »Und wie geht es dir /Ihnen damit?«, fragten ihn Freunde, Verwandte oder Ärzte, mit denen er redete, fast immer zum Schluss des Gesprächs, so als hätten sie alle das gleiche Handbuch gelesen. Ein paar Leute erklärten ihm, falls er das noch nicht wisse, dass Krebs für den Partner genauso schlimm sein könne wie für den Patienten. Doch er empfand kein Mitgefühl mit sich selbst. Er fühlte sich nur verpflichtet, den Leuten zu erklären, dass nicht er im Sterben liege und es deshalb für ihn niemals so schlimm sein könne wie für Margaret und dass, verglichen mit den meisten anderen Krebskranken und ihren Familien, er und Margaret Glück hätten. Ihre Arztrechnungen übernahm Enriques hervorragende Versicherung, die er dank der Gewerkschaft derDrehbuchautoren hatte. Andere Annehmlichkeiten wie die
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