Glückliche Ehe
dem Wein zu vermurksen«, rief er im Hinausgehen, »ist bei uns Familientradition. Bin gleich wieder da. Mit zwei Flaschen Rotwein.«
Durch die geschlossene Tür hörte er sie lachen, und er war mit sich zufrieden, wie er noch nie mit sich zufrieden gewesen war, außer damals, als ihn die New York Review of Books über den grünen Klee gelobt hatte. Dabei war die Lage immer noch heikel. Wenn er nämlich schließlich seinen grünen Army-Parka ausziehen würde, wäre die Katastrophe da. Der charakteristische Geruch von feuchter Wolle, der ihm in die Nase stieg, sagte ihm, dass sein Pullover durchgeschwitzt war – also musste das Hemd darunter klatschnass sein. Er wusste nicht, wo ein Laden war, in dem er Alkohol kaufen konnte. Er hatte keine Ahnung, welche Sorte Wein er kaufen sollte, und er bezweifelte, dass er genug Geld für zwei Flaschen von etwas Anständigem bei sich hatte. Und doch würde er wieder hierher zurückkommen. Er würde zudem Waisendinner gehen, in diesem derangierten Zustand und notfalls mit schlechtem Wein, und sie würden ihn auslachen, aber das würde ihm, solange es diese beiden lebhaften Mädchen waren, die lachten, nichts ausmachen.
6 LETZTE TERMINE
E r klopfte mit der Fingerspitze auf das Kalender-Icon seines Smartphones (diese Komprimierung auf kleinstem Raum, welch Wunderwerk der Technik!), während er in ein winziges Mikro sprach, das an einem Kabel zwischen dem Gerät und seinem linken Ohr baumelte. Das Headset erlaubte ihm, die Organizer-Funktion zu benutzen und gleichzeitig mit Bernard Weinsteins Frau Gertie zu erörtern, wann er ihnen einen Termin für ihren Abschied von Margaret geben konnte. Sie hatten es in die Auswahl geschafft, auch wenn sie auf der B-Liste waren, was eine fünfzehnminütige Nachmittagsaudienz bedeutete. Die Leute, die ihr am nächsten standen, würden in den Genuss eines letzten Abendessens kommen.
Margarets Besuche während der letzten zwei Wochen ihres Lebens zu organisieren war gar nicht so mühsam, wie Enrique erwartet hatte. Nicht alle waren scharf darauf, dem Tod ins Auge zu blicken. Er hörte förmlich, wie diejenigen, die in den Außenbezirken von Margarets Zuneigung residierten, sich innerlich rechtfertigten. »Klar, wir sind befreundet, aber doch mehr über die Kinder«, redeten sie sich ein. »Ich weiß nicht, ob wir uns treffen würden, wenn …« Sie wollten gar nicht erst in die Auswahl kommen.
Margaret hatte sowieso etliche Leute von der Liste dermöglichen Besucher gestrichen, entferntere Bekannte, aber auch ein paar gute Freundinnen ihrer verschiedenen Lebensphasen: den burschikosen Mädels vom Kittatinny Sommercamp, den braven jüdischen Mädchen von der Francis Lewis High School, den Marxistinnen und hartgesottenen Feministinnen ihrer radikalen Zeit in Cornell, den ständig von Schuldgefühlen geplagten berufstätigen Müttern, mit denen sie sich einst Taxis geteilt hatte, den frustrierten Künstlerinnen, ihrem montagmorgendlichen Tennis- und Schwatz-Doppel und den wenigen Mitgliedern der Selbsthilfegruppe »Krebs im fortgeschrittenen Stadium«. Enrique war erstaunt, dass Margaret so viele Mitstreiterinnen nicht sehen wollte, da sie immer gern möglichst viele Leute um sich versammelt hatte. Aber ihr Verhalten entsprach andererseits ihrem komplexen Charakter und schien verständlich bei ihrer gegenwärtigen Empfindlichkeit.
Trotz ihrer furchtlos fröhlichen Art, sich mit Leuten bekannt zu machen und in den widrigsten Situationen fremde Leute anzusprechen, war Margaret am liebsten zu Hause geblieben, um mit ihren Söhnen zu Abend zu essen. Danach war sie ganz zufrieden damit gewesen, einen englischen Landadelskrimi zu lesen, ab und zu von ihrem gemütlichen Sofaplätzchen einen Blick auf die Fernsehsendungen zu werfen, die Enrique bei voller Lautstärke guckte, und liebevoll oder auch höflich bis gelangweilt zu nicken, wenn er sich über irgendeinen politischen oder kulturellen Blödsinn oder einen eindeutigen Fall von Baseball-Missmanagement ereiferte. Sie lag heiter und gelassen da, wartete, dass ihre Söhne erschienen, weil sie etwas zu knabbern suchten oder Pause von ihren Hausaufgaben machten, und überfiel sie dann aus dem Hinterhalt mit Fragen oder Umarmungen.
In ihrer Höhle voller Männer konnte Margaret sich wochenlang glücklich und zufrieden verkriechen, doch wenn sie sich einmal aufraffte, ein Fest oder ein Essen zu geben,bevorzugte sie große, aber zwanglose Abende. Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag, sechs Monate vor der
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