Glückliche Ehe
»En-rie-kej Sahbas.« Er schwitzte vor Scham und immer noch wegen des Pullis, und er fühlte sich klein und hässlich. Einen Moment lang wäre er am liebsten weggerannt.
Er war nicht nur von der Highschool geflohen, sondern hatte sich auch schon ein paarmal in letzter Minute eine Grippe zugelegt, um soziale Anlässe zu meiden, darunter einen Abend im Haus seines Verlegers, wo er unbedingt hätte hingehen müssen, wenn ihm irgendetwas an seiner Karriere lag – und daran lag ihm viel. Seine damaligen Panikattacken waren nicht so schlimm wie die jetzt hier in MargaretsEingangslobby. Dennoch hatte er aus einer Telefonzelle drei Blocks von der Wohnung des Verlegers angerufen und abgesagt und dabei so wenig überzeugend gehustet wie eine schlechte Schauspielerin in der Rolle der Kameliendame. »Sind Sie sicher, dass Sie nicht kommen können?«, hatte sein Verleger im Ton eines Lehrers gefragt, der einem Schüler noch eine letzte Chance gibt. »Alle sind sehr gespannt auf Sie. Und es sind wichtige Leute hier.« Aber er hatte mit noch schwächerer Stimme geantwortet und sich noch ein Fieber dazu ausgedacht, fest davon überzeugt, dass ihn die Party des Verlegers wirklich krank machen würde.
Der Portier nahm den großen, schwarzen Hörer einer Haussprechanlage ab – das Ding sah aus, als gehörte es ins Büro eines Gestapo-Offiziers in Casablanca – und drückte einen entsprechenden Knopf. Aus der Sprechanlage kam Margarets fröhliches »Hallo!«. Der Portier sagte: »Ein Mr. Ricky Saybus will zu Ihnen«, wobei er dem »Ein« einen Ton gab, als könnte nur ein falscher Name nachfolgen. Prompt hörte Enrique Margaret verwirrt ausrufen: »Wer bitte?« Der Portier grinste selbstzufrieden.
Enrique, schweißgebadet, beklommen und zugleich wütend, sprach plötzlich mit der Stimme seines Vaters: volltönend, gebieterisch und schneidend. »Enrique!«, fuhr er den Portier an. »Nicht Ricky. Enrique. Sabasss«, zischte er wie eine erboste Schlange.
Was auch immer seine Exfreundin Sylvie von den ständigen Zornesausbrüchen halten mochte – es funktionierte. Der Portier ließ sein höhnisches Getue bleiben und sprach den Vornamen korrekt in den Hörer. Margaret antwortete laut und deutlich durch die antiquierte Sprechanlage: »Oh, Enrique. Ja, klar, schicken Sie ihn rauf.«
Der Lift war zu schnell, um Enrique Zeit für weitere Fluchtphantasien zu lassen. Als er im vierten Stock aus der Kabine trat, fand er sich genau vor der Tür vonApartment 4D, die ein Stück offen stand, so dass er schon Margarets Profil sehen konnte, während sie drinnen zu jemandem sagte: »Ich glaube, zweieinhalb Kisten reichen!« Dann erschien ihr fröhliches Gesicht, ein wenig gerötet vom Kochen. »Du bist ja unglaublich pünktlich!«, sagte sie. »Irre! Du kommst so was von pünktlich, und hier ist alles noch ein einziges Chaos!« Und wieder lachte sie auf diese seltsame Art, diesmal eindeutig über sich selbst, amüsiert über ihr eigenes Verhalten und gleichzeitig verlegen. Es ging alles so schnell – er hatte sich auf einen nervösen Marsch durch einen langen Korridor eingestellt –, und er hörte sich einfach drauflosreden, ohne dass sein Kumpel Raskolnikow ihm ins Wort fiel.
»Ich weiß«, gestand Enrique locker. »Ich habe da eine hoffnungslose Macke. Ich komme immer und überall zu früh. Es ist wirklich peinlich.«
Margaret öffnete die Tür ganz, und da stand ein Kobold von einer jungen Frau mit einer knallroten Schürze und blickte verzückt zu Enrique auf. Sie war so winzig – nicht viel größer als eins fünfzig, schätzte er –, dass die zierliche Margaret mit ihren knapp eins fünfundsechzig neben ihr groß wirkte. Sie hatte eine dicke braune Lockenmähne, warme braune Augen und ein nettes Lächeln, das normal große Zähne entblößte. Sie war so klein, dass er nur ihr Gesicht sah, und außerdem fing sie schon an charmant zu plappern: »Du bist pünktlich! Das ist gar nicht peinlich. Es ist genau richtig.« Sie machte eine Geste, als forderte sie ein Galeriepublikum auf, ihr zuzustimmen. »Alle anderen kommen zu spät. Denen sollte das peinlich sein.« Und sie hielt die Arme erhoben, darauf vertrauend, dass die da oben ihr beipflichten würden.
Währenddessen winkte ihn Margaret herein, indem sie mit einem großen Blechlöffel wedelte. Auch sie trug eine Schürze, ein lächerlich spießiges Ding mit der Karikatureines hektischen Barbecue-Grillmeisters und seiner besorgten Gattin – besorgt deshalb, weil der gute Mann gar
Weitere Kostenlose Bücher