Glückliche Ehe
Bettkante und berührte mit einer Hand durch die dünne weiße Baumwoll-Sommerdecke sachte Margarets Bein. Sah man einmal vom Stethoskop-Halsschmuck ab, hätte sie eine Collegefreundin sein können, die zum Abschiedsbesuch gekommen war.
»Eine Woche«, sagte Margaret und sah Enrique an. »Eine Woche reicht«, wiederholte sie in fast – aber doch nur fast – fragendem Ton.
»Zwei Wochen?«, schlug Enrique vor. »Eine Menge Leute werden sich verabschieden wollen.« Er wich dem Blick der Ärztin aus. Die letzten zwei Jahre und acht Monate hatte es kaum einen Bereich an Margarets Körper gegeben, über den sie nicht mit Ärzten diskutiert hatten, selbst die chirurgische Rekonstruktion ihrer Vagina war Thema gewesen. Der Tumor war bis ans Scheidengewebe herangewuchert, und um einer eventuellen Metastasierung vorzubeugen, war die Hälfte ihrer Vagina entfernt worden. Durch die Resektion wäre der Geschlechtsverkehr unmöglich oder zumindest sehr schmerzhaft gewesen, und zu Enriques Erstaunen hatte Margaret darauf bestanden, nach einer Abhilfemöglichkeit zu suchen. Bei keiner dieser Diskussionen war er zusammengezuckt oder auch nur rot geworden, aber dass er seine Frau jetzt überreden wollte, länger zu leben, trieb ihm Schamröte ins Gesicht, so dass er die Augen niederschlug.
»Kann ich denn wirklich zwei Wochen Steroide kriegen?«, fragte Margaret.
»Die können Sie kriegen, solange Ihr Körper es verkraftet.«
»Führt das denn nicht zu einer Infektion?«
»Irgendwann schon. Das ist eine Möglichkeit, wie es enden könnte. Wenn Sie eine Infektion bekommen, könnten wir sie unbehandelt lassen –«
Entsetzt sagte Margaret: »Ich will nicht an einer Infektion sterben.« Dreimal hatte sie den Schüttelfrost von vierzig Grad Fieber durchgemacht. Die Ärzte hatten behauptet, sie würde sich danach nicht groß an diese Nächte im Delirium erinnern, aber offenbar erinnerte sie sich nur zu gut.
»Dann sollten Sie wohl eine Woche auf voller Dosis ins Auge fassen. Aber Sie hätten anschließend immer noch die Energie für eine zweite Woche, weil ich die Steroide nur langsam absetzen werde.«
Margaret schüttelte den Kopf. »Muss das sein?«
»Nein. Wir müssen gar nichts tun, was Sie nicht wollen. Sie haben das Sagen.« Die Ärztin blickte wieder zu dem Foto einer vitalen Margaret mit funkelnd blauen Augen, umrahmt von ihren Männern. Die Aufnahme hatte der Portier vor neun Monaten auf Margarets Bitte gemacht, an dem Tag, an dem sie den Jungen gesagt hatten, dass sie unheilbar krank war. Sie standen vor ihrem Haus: eine Mutter, ihr Ehemann und die beiden erwachsenen Söhne. Die jungen Männer blickten direkt in die Kamera, ohne Schmerz oder Tränen, keine Wut, keine Resignation. Sie schienen bereitzustehen, komme, was da wolle. Enriques rechter Arm schlang sich Margarets linken hinab, und seine Finger streichelten beschützend ihr Handgelenk. Auf seinem Gesicht war ein forciertes Lächeln. Sie lächelte ebenfalls, aber unangestrengt, ein nettes, geduldiges, liebevolles und ganz und gar überzeugendes Lächeln. Ein aufmerksames Auge konnte erkennen, dass sie eine Perücke trug. Aber ansonsten wirkte diese schlanke, hübsche Frau zufrieden und unbesorgt.
»Wenn ich alle gesehen habe …« Margaret schluckte und griff nach ihrem Glas Cranberry-Saft. Ihr Mund trocknete häufig aus, obwohl sie zwischendurch des Geschmacks wegen an süßen Säften nippte. Die leuchtend rote Flüssigkeit erschien gleich darauf in dem durchsichtigen Beutel am Ende des Schlauchs, der aus ihrem Magen kam. Um ihren Besuchern den Anblick der bizarren, ekligen Mischung von roten Säften und schwärzlich-grüner Galle zu ersparen, steckte der Beutel in einer kleinen Einkaufstüte von L’Occitane, die auf dem Boden stand. Enrique entleerte den Beutel alle zwei Stunden in einen weißen Plastikkrug, den er dann zum Klo trug und auskippte. Sie beendete ihren Satz: »Nach dieser Woche will ich, dass alles eingestellt wird.« Sie zeigte auf den Tropf auf der anderen Seite ihres Betts. Daran hingen zwei Beutel, einer mit Hydratationslösung, der andere mit einem Antibiotikum gegen ihre letzte Infektion.
Dr. Kos dünne Augenbrauen zogen sich zusammen, und ihre Lippen schürzten sich skeptisch. »Alles auf einmal?«
Margaret nickte. »Alles«, flüsterte sie entschieden.
Natalie Ko schien diese Anweisung zu ignorieren. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man die intravenöse Flüssigkeitszufuhr beenden kann. Natürlich werde ich nach der
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