Glückliche Ehe
abzubringen versuchen, was seine Seele will. Meine Familie hat das mit mir gemacht, und es war schrecklich. Das ist etwas Scheußliches, das man nie ganz überwindet. Wenn du dich also als Schriftsteller fühlst, musst du versuchen, einer zu werden. Ich würde dich da nie entmutigen. Aber du musst dein Geld selbst verdienen. Auch das ist sehr wichtig. Schriftsteller zu sein ist kein Hobby. Es ist ein Job.« Trotz ihrer Beteuerungen, die Entscheidung seiner Seele zu respektieren, glaubte Enrique, dass sie davon ausging, er würde diese Idee wieder aufgeben, wenn er sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen müsste.
Falls dem so war, hatte sich seine Mutter verkalkuliert. Enriques Verarmungsängste waren in mehrfacher Hinsicht irrational. So fürchtete er beispielsweise nicht, als Schriftsteller kein Geld zu verdienen. Die Welt schien ihm – zunächst jedenfalls – recht zu geben. Sein erster Roman brachte ihmelftausend Dollar, davon konnte er drei Jahre leben – in jenen glücklichen Bankrottzeiten New Yorks, als die Monatsmiete für eine Zweizimmerwohnung in der Broome Street, Höhe Sixth Avenue, wie Sylvie sie hatte, achtundsechzig Dollar betrug.
Eins musste man Rose lassen: Sie stand zu ihrem Wort. Dass er es schaffte, als Schriftsteller seinen Lebensunterhalt zu verdienen, schien ihr zu genügen. Sie bedrängte ihn nicht, sich an den Universitäten zu bewerben, die bereits signalisiert hatten, dass sie ihn annehmen würden, wenn auch zunächst für ein Probesemester, weil er keinen Highschoolabschluss hatte. Sie äußerte ihm gegenüber nie die Sorge, dass es für einen Teenager zu viel Druck sein könnte, sich als Schriftsteller über Wasser zu halten, und sie gab ihm nie zu verstehen, dass mehr Bildung für einen Romancier nützlich sein könnte. Es war das Jahr 1971, lange bevor der Begriff Yuppie geprägt wurde und alle Welt akzeptierte, dass finanzieller Erfolg und Qualität Synonyme waren. Und doch legte Rose, quasi als Folge ihres linksradikalen Zynismus, an künstlerischen Erfolg einen Donald-Trump-artigen Maßstab an. In den Augen seiner Mutter durfte nur der sich als Künstler bezeichnen, der damit Geld verdiente. Natürlich verachtete sie »Lohnschreiber«, Schriftsteller, deren Bücher darauf hin kalkuliert schienen, sich zu verkaufen, aber desto größer war ihr Respekt für diejenigen, die Geld verdienten, indem sie, wie sie es ausdrückte, »ernsthaft« schrieben.
Bis auf das Geld, das sie Enrique kürzlich auf seinen Verlagsvorschuss vorgestreckt hatten, hatten ihn seine Eltern nicht finanziell unterstützt, nicht mal indem sie ihm Geld liehen. Er nahm es ihnen nicht übel. Er wäre erstaunt gewesen, wenn jemand gesagt hätte, solche Gefühle seien berechtigt. Enrique hielt sich, was seine Eltern anging, für den größten Glückspilz der Welt. Sie hatten hohen Unterhaltungswert und starke Meinungen zu allem und jedem: zum Beispiel inder Frage, ob ein humorloser Schriftsteller wie Dreiser, den sie sehr bewunderten, wirklich als groß gelten konnte oder ob Jerry Lewis ein genialer Clown war oder einfach nur ein dummer Clown oder ob ein bewaffneter Aufstand gegen ein imperialistisches Amerika, der moralisch gerechtfertigt sein mochte, auch klug wäre. Das Allerbeste war, dass sie seine Texte immer ausführlich lobten, was ihm unermesslich viel bedeutete. Enrique machte sich vielleicht über seine Eltern lustig und tat ihre so beredt geäußerten extremen Ansichten ab – aus ihm sprach aber eher der bewundernde Spott eines fanatischen Anhängers. Geld war eins der größten Übel der Welt, glaubte Enrique, und insofern der natürliche Feind seiner mutigen, begabten Eltern.
Daher war sein Befinden eine seltsame Mischung aus Selbstzweifel und Hochmut, als er wieder, in seinem Pullover schwitzend, vor dem griesgrämigen Portier stand. In Apartment 4D erwartete ihn diesmal ein ausgewachsener Schock – ein kantiger, gutaussehender, bärtiger Mann riss die Tür auf und rief: »Wer bist du denn?« Hinter ihm sah Enrique Margaret und Lily mit einem weiteren Mann zusammenstehen, der laut und überaus selbstbewusst irgendetwas erzählte. Zwei Pfauen waren eingetroffen, während er Wein gekauft hatte. Auf den ersten Blick konnte er sie nicht einordnen, aber er war sich sicher, dass ihr Prachtgefieder im üppigen Grün von Treuhandfonds glänzte. Dass er einen schmerzhaften Stich verspürte, weil er selbst nur ein sorgenvoller und demnächst obdachloser, weil gescheiterter Künstler war, kaschierte er
Weitere Kostenlose Bücher