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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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werden, die die Erwartungen der Leser bedienten und ihnen zur Freude gereichten. Na und? Wurde es dadurch für ihn etwaschlimmer, die Liebe seines Lebens zu verlieren? »Weh mir, ich Narr des Glücks«, rezitierte Enrique im Geiste, wie seine grandiose, melodramatische Familie es an seiner Stelle wohl getan hätte. Da Bernard und Gertie nun die letzte freie Zeile des Kalenders in seinem Handy füllten, war seine makabre Aufgabe als Sekretär vollbracht, und es war ihm wichtig, dass er seine Frau in dieser Sache nicht im Stich gelassen hatte. Die Leute, die sie sehen wollte, würde sie sehen. Die, die sie nicht sehen wollte, hatte er ferngehalten. Konnte der ach so erfolgreiche Bernard Weinstein von sich behaupten, je etwas so Schweres getan und es so gut gemacht zu haben?

7 DER WETTSTREIT
    E nrique fand es aus vielerlei Gründen einen Glücksfall, dass Margaret nur drei Blocks von ihm entfernt wohnte, wusste es aber besonders zu schätzen, nachdem er zwei Flaschen Margaux für die ungeheuerliche Summe von siebenundzwanzig Dollar und neunundachtzig Cent erworben hatte. Noch nie hatte er mehr als fünf Dollar für irgendeinen Alkohol ausgegeben. Jetzt hatte er noch einen verschossenen, abgewetzten Dollarschein in der Brieftasche und elf Cent in Münzen in der Tasche seiner schwarzen Jeans.
    Aus zwei Gründen war er froh, so viel Geld ausgegeben zu haben. Zum einen gefiel ihm das Wortspiel mit dem Margaux für Margaret. Und zum anderen nahm ihm der wahnsinnige Preis der beiden Flaschen die von seinem stolzen, der Arbeiterschicht entstammenden Vater ererbte Angst, womöglich etwas Stilloses und Minderwertiges ausgesucht zu haben. Enrique wusste zwar, dass Preis nicht gleich Qualität war (als Verfasser von Büchern, die nicht viel einbrachten, kam er um diese Einsicht kaum herum). Aber er wusste auch, dass im Jahr 1975 ein teurer französischer Rotwein, wie immer ihn ein echter Weinkennergaumen einstufen mochte, Margaret, ihrer Freundin Lily und den übrigen mysteriösen Waisen deutlich machen würde, dass er vielleicht einIgnorant, aber kein Geizkragen war. Enrique schien es unwahrscheinlich, dass sich eine begehrenswerte Frau für einen Knauser interessieren würde.
    Er besaß alles in allem einhundertundsechzehn Dollar, hatte aber keinen Moment erwogen, etwas Billigeres zu nehmen. Er rechtfertigte sein Verhalten damit, dass er in drei Monaten das Geld bekommen würde, das bei Erscheinen seines dritten Romans fällig war. Klar, diese fürstliche Summe von zweitausendfünfhundert Dollar war schon zur Hälfte ausgegeben, weil er sich tausend Dollar von seinen nicht minder klammen Schriftstellereltern geborgt hatte und sich am Montag noch mal fünfhundert von Sal pumpen würde. Seit er mit sechzehn sein Elternhaus verlassen hatte, war das der Rhythmus seiner Finanzen: sich auf den Verlagsvorschuss so lange Geld zu borgen, dass er, wenn dann der Scheck kam, schon wieder fast pleite war. Mit siebzehn, achtzehn, neunzehn konnte man es in diesem permanenten Zustand der Verschuldung und Armut, nur dazwischen mal ein Geldregen, durchaus aushalten. Aber Enrique wusste, wenn er mal verheiratet war und Kinder hatte, würde dieses Muster von Schulden, Vorschuss und wieder Schulden, während er gleichzeitig um die Erschaffung eines Meisterwerks rang, die romantische Aura einbüßen und das schiere Elend sein. Und schlimmer noch, er hatte als Zehn-, Elf-, Zwölf-, Dreizehn-, Vierzehn- und Fünfzehnjähriger miterlebt, wie die dröhnende Stimme seines Latino-Vaters verstummte, wenn er die Miete nicht mehr bezahlen konnte, weil für den stolzen Nachfahren spanischer Bauern und kubanischer Zigarrenmacher der Geldmangel so demütigend war wie die Schande des Selbstmords für einen ruinierten Aristokraten.
    Trotz – oder vielleicht auch wegen – seiner Extravaganz war Enrique davon überzeugt, auch zukünftig in Armut leben zu müssen. Für ihn war das jedenfalls wahrscheinlicher als für irgendjemand anderen bei diesem Waisendinner. Erhatte den Verdacht, dass für Margarets übrige Gäste, auch wenn sie diese Weihnachten elternlos waren, doch ansonsten gut gesorgt war, entweder durch jenes finanzielle Arrangement, das sich »Treuhandfonds« nannte, oder aber weil sie ein Collegeexamen hatten und vermutlich Anwälte, Ärzte oder so etwas werden würden, wenn sie es nicht schon waren. Enrique hatte – außer dass er der Verfasser von drei schmalen Romanen war – keinerlei Ausbildung oder Erfahrung in irgendeiner Tätigkeit, die der

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