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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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na ja, zumindest zwei von ihnen waren ihm überlegen – sie haben wollten? Was hatte er davon, wenn sie es ihm plötzlich doch glaubte? Andererseits – ihrer Behauptung zuzustimmen, dass seine Rivalen gar keine Rivalen waren, weil sie sie gar nicht anziehend fanden, schien ihr gegenüber nicht gerade schmeichelhaft.
    Sie schien es zu genießen, ihn sprachlos gemacht zu haben. Sie sah alle paar Schritte zu ihm hinüber und schien sich sogar ein befriedigtes kleines Nicken zu gestatten. Er versuchte, selbstbewusst zurückzulächeln, fühlte aber sein Kinn zucken. Als sie an die unübersichtliche Dreifachkreuzung Waverly, Grove und Christopher Street unmittelbar östlich der Seventh Avenue kamen, meinte er, sie wolle Richtung Christopher Street gehen, und sagte: »Nein, da lang ist kürzer«, wobei er mit dem Kinn in Richtung Grove Street deutete.
    Sie runzelte die Stirn. »Ach ja?«, sagte sie. »Ich glaube, das ist der kürzere Weg.«
    Bei ihrem spätnächtlichen Frühstück im Sandolino hatte er so getan, als stimmte er ihr zu, obwohl er genau gewusst hatte, dass sie mit den zwei Grundschulen Nr. 173 auf demHolzweg war. Diesmal würde er das nicht tun, obwohl er sie auch jetzt nicht kränken wollte und spürte, dass sie stolz auf ihren Orientierungssinn war. Er schüttelte leise, aber bestimmt den Kopf, statt ihr laut zu widersprechen.
    Sie dachte kurz über die Wegfrage nach. Mit einem Achselzucken, das ihm recht zu geben schien, marschierte sie trotzdem in Richtung Christopher Street. In diesem widersprüchlichen Verhalten, das ihm nur die Wahl ließ, ihr zu folgen oder seinen Weg allein zu gehen, lag eine so zwingende Selbstverständlichkeit, dass Enrique, statt sauer zu sein, befand, dass sie einfach zu viel Frau für ihn war. Er folgte ihr brav, und als sie an der Seventh südwärts gingen und über die Kreuzung Grove und Seventh kamen (wo ganz klar wurde, dass die Grove der kürzere Weg war), wartete er darauf, dass Margaret ihren Irrtum eingestand.
    Als sie nichts sagte, konnte er es sich nicht verkneifen, zu dem Straßenschild hinaufzublicken und dann sie anzusehen. Sie verstand, was er sagen wollte, denn mit einem zufriedenen kleinen Lachen sagte sie: »Die Grove war der kürzere Weg.« Das verblüffte ihn erst recht. Warum freute es sie so, wenn ihr nachgewiesen wurde, dass sie sich geirrt hatte?
    Er grinste zurück – was hätte er angesichts ihres fröhlichen Eingeständnisses sonst tun sollen? »Ja«, sagte er und setzte großmütig hinzu: »Nicht viel kürzer, aber ein bisschen.«
    Mit melodisch singender Stimme sagte sie: »Es ist eindeutig kürzer. Wir hätten hier langgehen sollen.«
    Da sie nun mal so streng mit sich sein wollte, räumte er achselzuckend ein: »Na ja, im Dezember schmerzt wohl jeder Meter.«
    Aus irgendeinem Grund schien seine Antwort Margaret zu beeindrucken. Sie kam näher an ihn heran, so dass ihre daunengepolsterte Schulter seinen Parka-Ärmel streifte.Trotz der Textilmassen war es ihm, als spürte er ihre Berührung auf der Haut. Sie nahm ihr fröhliches Geplauder wieder auf. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber seit Cornell hab ich einen Knacks. Ich kann Kälte nicht mehr ausstehen. Vor meinem Studium hat mir das nie was ausgemacht. Aber jetzt? Sobald es unter zehn Grad hat – brrr«, sagte sie und schnatterte demonstrativ, wobei sie wieder seinen Parka streifte. Er wusste, James Bond hätte ihr übertriebenes Frieren als Stichwort genommen, den Arm um sie zu legen und so zu tun, als wollte er sie wärmen. Aber Enrique brachte nur ein Manöver zustande, dessen Sinn sogar ihm selbst verborgen blieb. Er neigte sich so zu ihr, dass ihre Jacken auf dem halben Block bis zum Eingang des Buffalo Roadhouse noch mehrfach kollidierten.
    Als sie das Restaurant betraten, war er so aufgeregt und nervös, als würden sie in einem Balzac-Roman auf einem Pariser Ball angekündigt, um von einer kritischen Elite als Paar begutachtet zu werden. Er war stolz, Margaret als seine Begleiterin vorzeigen zu können. Ja, er rechnete schon fast damit, die Gastgeberin, die nur weit weniger schön sein konnte als Margaret, fragen zu hören, was zum Teufel diese Frau denn mit einem dürren Tölpel wie ihm wolle. Seine Befangenheit legte sich auch dann nicht, als ihm ein kurzer Blick auf die Nachbartische sagte, dass die Klientel eines preisgünstigen Restaurants im bankrotten New York, noch dazu zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn die Reichen und Schicken allesamt in der Karibik weilten, wohl kaum

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