Glücksboten
Perdita zu streiten. Es war wie üblich ein damenhafter Streit. Niemand schrie oder schleuderte dem anderen Beleidigungen entgegen, beide Parteien vertraten die jeweilige Sache mit Würde, aber Kitty weigerte sich rundheraus, Perdita bei sich wohnen zu lassen.
»Du kannst nicht dein eigenes Leben aufgeben, um dich um mich zu kümmern«, erklärte Kitty, nachdem die Schlacht eine Weile hin- und hergewogt war und sie einen Drink verlangte. »Es ist nicht notwendig, und es würde mich in den Wahnsinn treiben, wenn du den ganzen Tag um mich herumwuseltest, um zu sehen, ob ich nicht vielleicht lüge, wenn ich sage, es gehe mir blendend.«
Perdita, die versuchte, Kitty zu durchschauen, war ebenfalls müde. Sie wollte das Beste für Kitty, bezweifelte aber langsam, dass ihre eigene ständige Anwesenheit helfen würde, wenn Kitty so sehr gegen diese Idee war. »Deine Freundin Veronica, die nur dein Bestes will, hat mir ans Herz gelegt, dass du nicht länger allein leben solltest. Sie hat mich gefragt, ob du irgendwelche Verwandten hast.«
»Sie hat ihr Leben lang viel Lärm um nichts gemacht. Sie hat niemals allein gelebt und begreift einfach nicht, dass manche Menschen es bevorzugen.«
»Angenommen, du bekämst noch eine TIA?«
»Rede nicht in Großbuchstaben mit mir. Es ist eine schlampige Angewohnheit, und ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Eine transitorische ischämische Attacke. Wenn du allein gewesen wärst, als du eine hattest ...«
»Meine liebe Perdita, lass uns erst mal etwas trinken. Ich glaube nicht, dass ich so viel Besorgnis ohne einen Drink aushalten kann.«
Perdita verlor kein Wort darüber, dass Alkohol Kitty vielleicht nicht gut tat, und ebenso wenig protestierte sie, als die alte Dame ihre Pfeife anzündete. »Mrs Ledham-Gold hat mir ausdrücklich gesagt, dass der Arzt - dein Arzt, Doktor Edwards - meinte, du dürftest nicht nach Hause gehen, wenn du dort niemanden hättest.« Er hatte außerdem angedeutet, dass er mit ihr, Perdita, über Kittys Nachsorge reden wolle, aber diese Tatsache ließ sie für den Augenblick unerwähnt.
»Also schön, wenn du unbedingt darauf bestehst, mich herumzuschikanieren, darfst du heute Nacht hier bleiben, aber morgen frage ich Doktor Edwards, ob er nicht runterkommen und dich zur Vernunft bringen kann. Ich bin wirklich noch nicht bereit, mich wie einen unzurechnungsfähigen Invaliden behandeln zu lassen.«
»Okay.« Perdita nahm einen Schluck Whisky, den sie nur in Notfällen trank. »Wenn er meint, ich kann nach Hause gehen, dann gehe ich. Aber wenn er es nicht tut, dann hast du mich am Hals, ob es dir gefällt oder nicht. Und jetzt bereite ich uns erst mal das Abendessen zu.«
»Das wäre wunderbar«, erwiderte Kitty, als hätte sie Perdita nicht erst wenige Sekunden zuvor die Tür weisen wollen.
Kitty bat Dr. Edwards für den nächsten Nachmittag um einen Besuch. Perdita hetzte durch ihre verschiedenen Arbeiten, damit sie dabei sein konnte; sie wagte es nicht, auch nur eine
Sekunde zu spät zu kommen, damit Kitty den Doktor nicht so lange schikanierte, bis er sagte, was sie von ihm hören wollte.
Dr. Edwards, ein hoch gewachsener, kraftstrotzender Mann in den Vierzigern, war höflich und freundlich, und Kitty hatte ihn sehr gern. Er log sie nicht an, und er sprach ein gepflegtes Englisch: Trotz all ihrer liebenswerten Eigenschaften war Kitty ein Snob. Sie schätzte es, wenn ein Arzt die Sprache der Königin sprach.
Er erkundigte sich außerdem stets nach Kittys Garten, wohl wissend, dass sie lieber darüber redete als über ihre Gesundheit. Als er an diesem Tag kam, bot Kitty ihm einen Sherry an, obwohl eigentlich Teezeit war. Kitty wollte sich damit selbst Mut machen, der Gedanke, womöglich ihre Unabhängigkeit zu verlieren, erinnerte sie an ihr Alter. Und ihr Alter war etwas, das sie bisher mit Erfolg ignoriert hatte.
Der Arzt nahm den Sherry mit Würde an und setzte sich auf das Sofa.
»Nehmen Sie doch einen Käsekräcker«, bat Kitty. »Leider nicht selbst gebacken, aber trotzdem halbwegs essbar. Perdita, Kind, hol dir einen Sherry und schenk mir auch einen ein.« Kitty konnte Sherry im Grunde nicht ausstehen, wie Perdita nur allzu gut wusste, wollte den Doktor aber wahrscheinlich nicht erschrecken, indem sie um halb fünf am Nachmittag einen steifen Whisky trank.
Als sie alle mit Gläsern aus geschliffenem Glas versorgt waren und die Käsekräcker die Runde gemacht hatten, kam der Arzt zur Sache. »Mrs Anson, Ihre ...« Er sah Perdita an und
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