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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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lügt?
    Antwort: Ihre Lippen bewegen sich.
    Als ich mich ins Wartezimmer zu den vielen kranken Menschen setzte, wurde das schreckliche Sinkgefühl, das ich seit dem Aufwachen hatte, immer stärker. Ich hatte es in Schach halten können, während ich telefonierte und im Internet surfte, aber jetzt saß ich still und hatte keine Ablenkung, und da schlug es mit aller Wucht zu.
    Es war eine solche Anstrengung, nicht aufzuspringen und wegzurennen, dass ich mich auf dem Stuhl wand.
    Es wurde noch schlimmer dadurch, dass Shannon O’Malleys Stimmung umschlug, von hysterisch, aber freundlich zu verletzt und beinahe aggressiv.
    »Wir haben dich bei unserem Jahrestreffen vermisst«, sagte sie vorwurfsvoll. »Warum bist du nicht gekommen?«
    Ich starrte sie an, mir fiel keine Antwort ein.
    »Es war toll«, sagte sie. »Toll, alle wiederzusehen.«
    Sie machte eine Pause, damit ich etwas sagen konnte, aber auch diesmal hatte mein Verstand kein einziges Wort parat.
    »Ich war danach Ewigkeiten richtig aufgedreht«, sagte sie, fast ein wenig trotzig.
    Plötzlich kam mir der schreckliche Gedanke, es könnte meine Schuld sein, dass ich keine Freunde hatte. Vielleicht war bei mir wirklich eine Schraube locker, wie Rachel behauptete. Warum konnte ich nicht wie ein normaler Mensch zu meinem Jahrestreffen gehen? Ohne das Gefühl zu haben, dass ich mich stattdessen lieber mit Benzin übergießen und ein Streichholz dranhalten wollte. Dann fiel mir wieder ein, dass ich einmal eine Freundin gehabt hatte, eine ausgezeichnete Freundin sogar, eine Freundin von besonderer Qualität.
    »Du hattest wahrscheinlich viel zu tun«, sagte Shannon und klang (obwohl ich ohne Weiteres zugeben würde, dass meine Deutungen nicht immer verlässlich sind) fast unfreundlich.
    Ich betrachtete sie unschlüssig. Wie viel wusste sie über mich? Hatte sie meine Akte gelesen? Hatte sie bestimmt. Man konnte nicht an einem Platz arbeiten, an dem es massenweise vertrauliche Informationen über Menschen gab, die man kannte, und nichts davon lesen.
    »Obwohl, du solltest mal drei Kinder haben, wenn du wissen willst, was es heißt, viel zu tun zu haben.« Sie klang ein klein bisschen weniger feindselig. »Natürlich ist es auch sehr bereichernd. Du müsstest mal meinen Sohn kennenlernen. Ein weiser Mensch, wie es ihn selten gab, gerade zehn Jahre alt, wird demnächst fünfzig …«
    Öde, oh, so öde. Kein Wunder, dass ich nicht zu dem Jahrestreffen gehen wollte, wenn man da mit solchen Menschen zusammenkam. Ich versuchte, die Vorstellung auszublenden, indem ich mir ein paar von Bronaghs frechen Scherzen ins Gedächtnis rief, und mir fiel ein richtig guter ein, aber selbst wenn ich versuchen würde, Shannon O’Malley zu erklären, was daran so lustig gewesen war, würde sie es trotzdem nicht verstehen.
    Bronagh und ich waren auf einer Party, als Kristo Funshal plötzlich dort auftauchte. Inzwischen ist Kristo Funshal prak tisch in Vergessenheit geraten, weil seine Schauspielkarriere ein völlig berechtigtes Ende gefunden hat, aber damals ritt er auf einer mäßigen Welle des Erfolgs, und obwohl er verheiratet war, machte er unablässig die Frauen an. Er sah gut aus, nach Schauspielerart, und damit meine ich, dass er aussah, als bestünde er aus Mahagoni und Latex.
    Seine Anwesenheit auf der Party erregte einiges Aufsehen, alle Frauen außer Bronagh und mir warfen ihm von der Seite her Flirtblicke zu und kicherten hinter vorgehaltener Hand, und Kristo grinste so frech und arrogant, dass ich fast gekotzt hätte. Plötzlich winkte er mich mit gekrümmtem Zeigefinger zu sich.
    »Hast du das gesehen?«, sagte ich zu Bronagh. »Dieser Drecksack.«
    Sie war nicht überrascht und zuckte nur die Achseln. Sie nannte mich den »Köder«. »Es ist dein Aussehen«, sagte sie oft. »Du kriegst Männer für uns beide. Sie kommen deinet wegen und bleiben meinetwegen.« Und damit hatte sie recht.
    Kristo machte wieder diese Geste, und ich sagte voller Empörung zu Bronagh: »Geh zu ihm und sprich mit ihm.«
    »Und …?« Ihr entging wirklich nichts. Sie wusste sofort, dass es ein »Und« gab.
    »Und sag in jedem Satz das Wort ›Sprack‹, in zehn Sätzen hintereinander. Ich komme mit und passe auf.«
    »Was ist ein Sprack?«
    »Keine Ahnung. Es muss auch nicht Sprack sein, du kannst irgendein Wort nehmen, solange du es immer wieder benutzt, bis er ausrastet.«
    »Gut, ich fange mit Sprack an, dann improvisiere ich. Komm.« Sie zog mich durch den Raum und stellte sich, klein und tough,

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