Glücksfall
Ich bin nicht der Typ für Kaschmir-Strickjacken. Um es vorsichtig auszudrücken. Ich hatte sie gekauft, weil ich vorübergehend der irrigen Vorstellung erlegen war, dass Kleidung eine Investition war. Hinzu kam, dass mir die Farben nicht standen – Karamell, Sahnetoffee, Kaffee (anders gesagt: hellbraun, mittelbraun, dunkelbraun). Ich trage niemals Braun, egal in welchem Ton, aber die Namen hatten mich getäuscht, und ich hatte beim Einkaufen wohl übersehen, dass es sich um Strickjacken handelte und nicht um Muffins.
Ich mag Schwarz und Grau und manchmal sehr dunkles Dunkelblau oder Dunkelgrün, solange es fast schwarz ist. Hin und wieder ein wenig Gelb oder Orange, kleine Tupfer nur, wie bei den Sportschuhen. Wenn ich mir Wayne Diffneys Haus anziehen könnte, würde ich das tun.
Weiteres Herumkramen beförderte ein merkwürdiges Strickkleid in einer abscheulichen Farbe nach oben – warum hatte ich das bloß eingepackt? Ich hätte es gleich wegwerfen sollen. Und warum hatte ich diesen Pullover gekauft? Mit Rollkragen , die zweitschlimmste Kragenform nach dem Schalkragen und völlig untragbar. Ich wühlte tiefer und fand noch mehr groteske Sachen … dann zwang ich mich aufzuhören. Ich würde sonst noch durchdrehen.
Ich rief meine Schwester Margaret an, die nach anderthalbmal Klingeln abnahm. Sie nimmt immer ab, sie ist sehr gewissenhaft.
»Geht es dir gut?«, fragte sie.
»Ich musste wieder bei Mum und Dad einziehen.«
»Das habe ich gehört.«
»Alle meine Sachen sind eingepackt, ich habe nichts zum Anziehen.«
»Bleib einfach, wo du bist«, sagte sie. »Ich bin schon auf dem Weg und bringe dir was vorbei.«
»Nein, nein, nicht nötig«, sagte ich schnell. Ausgeschlossen, dass ich etwas anziehen konnte, was Margaret gehörte. Margaret ist, wie Claire, einen Kopf größer als ich, und obwohl es mit Claires Sachen möglich gewesen wäre – mit Margarets ging es auf keinen Fall: Zwischen ihrem und meinem Geschmack liegen Welten, falls man überhaupt das Wort »Geschmack« für Margarets Geschmack benutzen kann. Sie gehört nämlich zu den verwunderlichen Menschen, die denken, Kleider sind lediglich dazu da, unsere Blöße zu bedecken. Der Chic der Zweckmäßigkeit, könnte man sagen. Wenn es beispielsweise kalt war, und sie hatte nur einen senfbraunen Grobstrickpullover aus Acryl zur Hand, würde sie ihn anziehen . Sie würde sich nicht einmal dafür entschuldigen. Jeder andere vernunftbegabte Mensch würde eher Frostbeulen und den Verlust eines Körperteils in Kauf nehmen.
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, woher ihr Desinteresse an Mode wohl kommen könnte – selbst Mum findet, dass sie sich zu nachlässig kleidet –, und wahrscheinlich liegt es daran, dass sie weiß, wer sie ist, und damit einigermaßen glücklich ist. Was natürlich gut ist. In gewisser Weise.
»Du brauchst mir nichts zu bringen«, sagte ich. »Ich wollte nur ein bisschen jammern.«
»Ich komme später vorbei«, sagte sie. »Wir packen deine Sachen aus und richten dir dein Zimmer ein, machen es dir ein bisschen gemütlich, Mum und ich und … Claire.« Sie zögerte bei »Claire«, weil Claire in jeder Gleichung die Unbekannte war. Nicht, dass sie faul oder unzuverlässig war. Nein, sie hatte einfach sehr, sehr viel zu tun. Eine, die fürs Multitasking einen Preis bekommen sollte. Sie hatte eine Arbeit, einen attraktiven Mann und drei Kinder, darunter eine jederzeit explosionsgefährdete Tochter im Teenageralter. Kommt zu dieser Mischung noch der Kampf gegen die Vorboten der Wechseljahre hinzu, hat man das Rezept für eine überforderte Frau.
»Wir sehen uns dann«, sagte Margaret.
»Gut, danke.« Ich legte auf und stellte mich den Fakten. Ich hatte keine Wahl: Ich musste die Jeans von gestern noch einmal anziehen. Und die Schuhe von gestern. Und das Halstuch von gestern. Aber nicht die Unterwäsche von gestern. Das ging zu weit. Wieder zog ich in einem anderen Karton an ein paar Ärmeln und Hosenbeinen und hatte unerwartetes Glück, denn der Inhalt meiner Wäscheschublade kam zum Vorschein.
Jetzt schminken, sagte ich zu mir. Das soll wohl ein Witz sein, antwortete ich mir. Zähneputzen, das musste reichen.
16
G enau dreizehn Minuten später war ich beim Arzt, musste aber noch siebenundzwanzig Minuten warten. Warum machen sie das immer? Warum behandeln sie einen nicht wie einen erwachsenen Menschen und sagen klipp und klar, wie lange man warten muss?
Frage: Woran merkt man, dass eine Sprechstundenhilfe
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