Glückskind (German Edition)
seinem Bett im Sitzen schläft, immer noch die Trinkflasche in der Hand hält, rechts von ihm die Nachttischlampe, links Felizia. Ganz fest hält er die Augen geschlossen, ganz genau stellt er es sich vor, bis er den Eindruck hat, dass er es sehen kann. Dann erst öffnet er die Augen und füttert Felizia, die gerade wach wird und Hunger hat.
Der nächste Morgen beginnt mit einer Frage. Hans liegt in seinem Bett, neben ihm atmet hörbar Felizia. Draußen scheint schon die Sonne, Hans bemerkt es an der Helligkeit, die durch seine Lider dringt. Er ist ganz langsam wach geworden, irgendein Traum ist Stück für Stück in den Vordergrund seines Bewusstseins gerückt. Dann sind die Bilder zu Worten zerfallen und die Worte haben sich zu einem Gedanken versammelt. Warum, so lautet der Gedanke, habe ich das nicht früher bemerkt? Er schlägt die Augen auf. Es war so sichtbar, denkt er und blinzelt Richtung Fenster, wo der Himmel so blau ist, so blau, als wäre dort noch nie eine Wolke vorbeigezogen. So deutlich, denkt er, und so simpel. Hans hat ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits weiß er, dass er nun besser weiß, warum er seine eigenen Kinder nicht so hat lieben können, wie er das selbst gerne getan hätte. Und andererseits: Ich hätte es doch auch viel früher begreifen können, denkt er, und das fühlt sich bitter an. Felizia wird wach. Sie schaut ihn an, streckt sich und sagt Worte, die nur sie versteht. Hans ist froh, dass sie ihn auf andere Gedanken bringt. Er nimmt sie in den Arm und sagt: »Guten Morgen, du kleines großes Glück!« Dann macht er Quatsch mit Felizia, er schneidet Grimassen, damit sie es lustig findet, und sie findet es sehr lustig, so lustig, dass sie gar nicht mehr aus dem Lachen herauskommt. Ein hübsches Baby ist sie, Felizia Marie M., Hans seufzt, das ist nun einmal ihr Name, und zum ersten Mal fragt er sich, wofür wohl das M steht.
Er sagt: »Nun ist es schon fünf Tage her, dass ich dich gefunden habe, kleines Mädchen.« Felizia kichert ihn an, sie findet immer noch alles lustig, was er tut. Schwerfällig erhebt er sich mit dem Kind auf dem Arm. Er trägt Felizia in die Küche und fragt sich, was dieser neue Tag wohl bringen wird.
Als er seinen überquellenden Mülleimer betrachtet, fällt ihm ein, dass heute die Müllabfuhr kommt. Er kocht sich Kaffee, isst ein paar Butterbrote, heute muss er für das Wochenende einkaufen, es ist noch etwas Geld von Herrn Wenzel da, das muss reichen. Felizia liegt währenddessen auf einer dicken Decke auf dem Boden und hält zum ersten Mal in ihrem Leben etwas in der Hand. Hans hat ihr die Rassel gegeben, die Herr Wenzel bei seinem Besuch mitgebracht hat, die hält sie jetzt in der Rechten und schaut sie an, und Hans sieht, dass sie genau weiß, wie besonders dieser Augenblick ist. Es läutet. Vor der Tür steht Frau Tarsi und wünscht ihm einen guten Morgen. Sie ist mit vier Einkaufstüten bepackt und informiert Hans darüber, dass sie jetzt zu Hause ist und Felizia übernehmen kann, »wann immer Sie Zeit für sich brauchen«, das sagt sie, oder besser: sie ruft es, zaubert ein Lächeln in ihr rundes Gesicht, das ganz erhitzt ist von der Anstrengung. Dann bückt sie sich nach den Tüten, hebt sie hoch und geht nach Hause. Hans hat ihr gedankt, er wird ohne Felizia einkaufen gehen, das schont seinen Rücken, auch wenn es ihm schon sehr viel besser geht. Frau Tarsis Erscheinen hat ihm ein gutes Gefühl gegeben, ein Gefühl von Alltäglichkeit. Er putzt sich die Zähne, ignoriert den grauen Flaum in seinem Gesicht und auf seinem Kopf, er zieht sich die Schuhe und den Mantel an. Trinkflasche, Windel, Felizia, dann geht er zu Frau Tarsi. Sie freut sich wie eine Großmutter, Hans ist gerührt von so viel Selbstverständlichkeit, es sind keine langen Reden mehr nötig, er sagt ihr, wie lange er ungefähr fortbleiben wird, sie nickt, dann verabschiedet er sich von Felizia, die immer noch die Rassel in der Hand hält. Als Hans allein im Flur steht, erinnert er sich an seinen vollen Mülleimer. Wenn ich mich schon nicht rasiere, denkt er, dann wenigstens das.
Die Wand des Flurs, die sich gegenüber den Haustüren befindet, ist verglast. Durch breite Fenster kann man nach unten schauen. Dann sieht man den Eingangsbereich des Wohnhauses und links die großen Mülltonnen. Von hier aus muss Herr Tarsi vor fünf Tagen gesehen haben, wie Hans ein kleines Baby aus dem Müll fischte. Hans hört laute Geräusche von unten und fragt sich, ob die Müllabfuhr schon da
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