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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
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waren vor der Erhöhung circa 10   000 Euro wert, wenn Sie eine Langstrecke in der First Class buchen. Also sind 105   000 Meilen ungefähr 8 750 Euro wert. Das ist doch ein Verkaufsargument! Sie sagen Freunden und Bekannten: Ich gebe euch die Möglichkeit, für 2   400 Euro Meilen im Wert von 8 750 Euro zu kommen. Damit bekommt Ihr fast eine Reise nach New York und außerdem dürft ihr mit mir in Mailand einen Kaffee trinken.
    |75| So ein Angebot ist für überraschend viele Menschen sehr attraktiv und ein guter Deal. Das war meine Erfahrung, ich habe gleich zwei Flüge voll gemacht, einmal nach Mailand und einmal nach Pisa, denn den schiefen Turm hatte ich noch nie gesehen. Ich wollte nicht auf Kosten der anderen reisen, das hätte mir die Stimmung verhagelt. Also habe ich den Preis für alle gesenkt auf 2   000 Euro und habe meine eigenen 2   000 Euro auch bezahlt.
    Man findet immer einen Weg, wenn man will. Allerdings: Das Angebot der Lufthansa gilt nicht mehr, das Jubiläum ist vorbei. Aber es gibt immer wieder neue Gelegenheiten in dieser bunten Welt. Mein neuer Plan: mit einem Private Jet in zehn Tagen um die Welt, New York, Rio, Tokio und so weiter, zehnmal Party nachts, tagsüber schlafen im Jet, dann vollkommen erschöpft, verarmt und glücklich wieder zurück. Die größte Sause meines bisherigen Lebens. Die nächste Steigerung.
    Ich müsste hier eigentlich eine Bauchbinde einblenden, auf der der Text durchläuft: Don’t try this at home!
    Ich weiß, das finden die meisten durchgeknallt. Aber ich habe ja auch nicht behauptet, dass ich normal bin. Ich weiß sogar sehr gut, dass ich zu radikal bin. Ich müsste hier eigentlich eine Bauchbinde einblenden, auf der der Text durchläuft:
Don’t try this at home!
– denn es ist leider so: Da sitze ich dann tatsächlich da unten in Mailand im Restaurant und weiß gar nicht, ob ich mich freuen soll. Nur so den Dom anschauen … fast ein bisserl zu langweilig. Ich tue mich dann schon schwer mit dem Genießen. Um mich herum wohlhabende Leute beim Schmausen im besten Restaurant der Stadt und mir geht im Kopf herum: Na, wenn du jetzt dein iPad da hättest, wäre es nicht blöd. Dann könntest du die Zeit hier irgendwie nutzen … Ich weiß nämlich nicht, was ich da machen soll. Dann dauert es in diesen teuren Restaurants immer so lange bis das Essen kommt. Und danach ist der Magen so unangenehm voll. Und dann bemerke ich, was ich da gerade denke und sage, holla die Waldfee! Grenzgängig!
    Ich denke manchmal, ich bin schon ein besonderer Idiot, wenn ich mir beim Reden zuhöre oder lese, was ich geschrieben habe. |76| Aber es ist nun mal mein Lebenshunger. Ich bin Selbsttherapeut. Ich weiß, dass auch ich mich selbst belüge, so wie alle anderen auch sich selbst betrügen. Beispielsweise schreibe ich Bücher und erkläre anderen, was und wie sie es tun sollen. Während ich eben gerade nicht in Rio oder Tokio bin, sondern hier in Zürich herumsitze. Ich bin vielleicht öfter in New York als die meisten, aber für meine eigenen Ansprüche mache ich, was das Reisen angeht, immer noch zu wenig aus meinem Leben. Und das Reisen ist ja nur ein Teil davon.
    Tote Pferde
    Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern darum, den Tagen mehr Leben zu geben.
    Verurteilen Sie mich nicht. Jeder hat sein First Life. Ich habe meines, mit dem ich mich herumplage, Sie haben Ihres. Das ist bei jedem was anderes. Bei manchen finanzieller Erfolg. Bei anderen Macht. Sex. Anerkennung. Ein Werk. Was auch immer. Aber jeder hat etwas, bei dem er dieses Gänsehautgefühl bekommt, bei dem er spürt, dass er wahrhaftig lebt. Und darum geht es. Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern darum, den Tagen mehr Leben zu geben. Das Leben wird eben nicht daran gemessen, wie viele Atemzüge wir tätigen, sondern an den Momenten, die uns den Atem rauben.
    Wenn das das Einzige ist, was zählt, wie viel können Sie dann wagen und riskieren? Die verbrauchte Stunde ist weg. Woher wissen Sie, dass Sie in die richtige Richtung rennen? So viel steht fest: In der letzten Stunde, sofern wir sie bewusst erleben dürfen, werden wir uns nicht über die Dinge ärgern, die uns misslungen sind, sondern über die, die wir nicht gewagt haben. Es gibt in meiner Vorstellung nichts Bedauerlicheres als dieses Ach-hätt-ichs-doch-getan-Gefühl im Rückblick auf das Leben. Und ich bin sicher, dass mich genau dieses Schicksal ereilen wird, weil ich es versäumt habe, rechtzeitig die Augen für

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