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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
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Energie dafür aufgebracht wird, dass man keine Zeit mehr hat, Weihnachten zu feiern und zu genießen. Man ist nur noch dabei, dem Drehbuch der perfekten Inszenierung zu folgen und die Dramaturgie nicht zu zerstören. Weihnachten war perfekt. War es dabei auch schön? Geruhsam? Etwas fürs Herz? Oder doch nur für den Regisseur der Perfektion?
    Die meisten sind schlecht, weil sie gut sein wollen.
    Warum feiern wir Weihnachten eigentlich? Das ist nicht nur Weihnachten so. Das ist bei Kindergeburtstagen ähnlich. Alles muss schön sein, alles wird inszeniert. Dabei wäre doch eine richtig wilde Mohrenkopfschlacht viel toller. Ja, da kann man richtig wütend werden, wenn es so perfekt ist. Perfektion weckt Aggression. Ich hatte mal einen Vorstandsvorsitzenden, der zur Eröffnung einer Veranstaltung perfekt sein wollte – und er war perfekt. Die Worte waren perfekt, alles perfekt eingeübt, kein böses Wort, keine Provokation, die Folien waren perfekt. Jeder einzelne Klick seines Assistenten mit den PowerPoint-Folien seines Vortrags war perfekt getimt. Es gab keinen Haspler, kein Räusperer, keine Ähs oder sonstigen Unperfektionen. Aber er war glatt, aalglatt und langweilig, roboterähnlich, wirkungslos.
    Perfektion ist Zeitlupe, Fantasie ist Lichtgeschwindigkeit.
    Manche Menschen wollen perfekt sein, das ist der Grund, warum sie miserabel sind. Die meisten sind schlecht, weil sie gut sein wollen. Perfektionisten |105| haben gleichviele Chancen wie Pragmatiker, sie sehen sie jedoch nicht. Perfektion ist Zeitlupe, Fantasie ist Lichtgeschwindigkeit.
    Eine weitere Illusion ist es, zu glauben, das Beste, Vollkommenste, Perfekteste wird sich in der Konkurrenz durchsetzen. Das ist in Wahrheit weder in der Natur so noch im Markt. In der Natur setzt sich nicht der schönste, stärkste oder sonstwie perfekte Organismus durch, sondern der in der jeweiligen Situation am besten zur Umwelt passende. Und die Situation ändert sich ständig. So wurde Darwin mit »Survival of the fittest« oft falsch übersetzt. Nicht der Stärkste oder Schnellste gewinnt den Wettkampf, sondern der, der sich am besten an die Situation anpassen kann (to fit). Im einen Augenblick sind es noch Dinosaurier, einen Wimpernschlag von wenigen Millionen Jahren später sind es Ratten. Heute ist es noch der Homo, manchmal Sapiens, morgen sind es vielleicht die Küchenschaben. Oder immer noch der Homo Sapiens, wenn er sich zwischenzeitlich zum Homo Pragmaticus gewandelt hat.
    In der Wirtschaft ist das Primat des Anfangens vor dem Streben nach dem Optimum ebenfalls deutlich sichtbar, wenn Sie sich die erfolgreichen Unternehmen und Produkte genauer anschauen. Dort sprechen wir von disruptiven Technologien: Sie zerreißen den erwartbaren Verlauf des stetigen Entwicklungs- und Verbesserungsfortschritts von bestehenden Technologien. Nehmen Sie Fotokameras: Spiegelreflexkameras, die Fotos als Negativ auf einem 35-Millimeter-Kleinbild-Film aufnahmen, wurden über die Jahrzehnte immer besser, kamen der Perfektion immer näher. Der Markt war ein Milliardenmarkt, der fein säuberlich zwischen den großen amerikanischen und japanischen Herstellern aufgeteilt war. Kein Mensch konnte sich vor 20 Jahren vorstellen, wie der Markt heute aussieht. Kleinbildfotografie, Brennweite, Objektivwechsel, Laborentwicklung, das alles ist heute nur noch Liebhaberei für wenige Enthusiasten, der weitaus größte Teil aller Fotos wird heute mit digitalen Handykameras aufgenommen und sofort per Internet versendet. Gibt es eigentlich noch die Firma Kodak? Und wenn ja, um wie viel ist die Mitarbeiterzahl gesunken?
    Das ist das Kennzeichen disruptiver Technologien: Sie kommen plötzlich und wie aus dem Nichts. Sie zerstören viel schneller, als |106| selbst Experten es sich vorstellen können, die bestehenden Marktstrukturen. Sie tauchen entweder vom unteren Rand des Markts schlagartig auf, oder sie brechen aus anderen Märkten überfallartig ein. Und warum übernehmen sie die Führung? Weil sie so viel besser sind als die bestehenden? Na, eben nicht! Sie sind regelmäßig deutlich schlechter! Die ersten Digitalfotoapparate lieferten grottenschlechte, pixelige, farbverfälschte Bilder, die Auslöseverzögerung war unsäglich schlecht, durch die Optik konnte man kaum etwas vernünftig erkennen.
    Die ersten Taschenrechner waren ungenauer als die etablierten, ausgereiften Rechenschieber. CD-Player lieferten schlechtere Klangergebnisse als Schallplattenspieler. Digitalfernseher boten schlechtere

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