Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
schneller und vor allem auch befriedigender vor sich.
Auf der einen Seite ist unser Anspruch, auf der anderen die Realität.
Es gibt einen großen und allgegenwärtigen Widerspruch in unserem Leben zwischen Pragmatismus und Perfektion. In unserer täglichen Arbeit, im Unternehmen, in Märkten, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, auch im privaten Leben, in einer Ehe, in einer Familie. Auf der einen Seite ist unser Anspruch, auf der anderen die Realität.
Einerseits brauchen wir bestmögliche Ergebnisse in allem, um angesichts der großen Konkurrenz in allen Lebensbereichen bestehen zu können. Wir müssen so gut wie möglich sein im Job, egal ob als Angestellter oder als Selbstständiger oder als Unternehmer, sonst ist der Job weg, die Aufträge weg, das Unternehmen weg. Unsere Produkte müssen so gut sein wie möglich, sonst ist der Markt weg. Unsere Wirtschaft muss so gut laufen wie möglich, sonst überholen uns nach den Chinesen auch noch die Inder, die Brasilianer, die Mexikaner und irgendwann auch noch Vietnam. Und wir müssen ein guter Ehepartner sein, angesichts von zwei Milliarden potenziellen Konkurrenten. Gute Eltern, sonst orientiert sich unser Spross an den falschen Vorbildern.
Andererseits dürfen wir keine Zeit verlieren, der frühe Vogel fängt den Wurm. Als erster den ersten Schritt, das Anfangen verschafft uns den entscheidenden Vorsprung. Das wissen wir. Wie lösen wir diesen Widerspruch nur auf?
Wann ist es endlich gut genug?
Die Lücke zwischen Perfektionsanspruch und Pragmatismusgebot lähmt die meisten Menschen. Sie sind dann weder perfekt noch |103| schnell. Das ist der Grund, warum wir immer auf alles Mögliche warten müssen. Ich gestehe: Ich kann nicht warten, das macht mich verrückt. Es ist nicht auszuhalten. Einmal brauchten wir einen Flyer für ein Seminar im Oktober. Wir wussten das bereits im Frühjahr. Ich bin davon ausgegangen, dass wir bei aller Gemütlichkeit im Mai mit der Verteilung starten könnten. Das wären dann noch fünf Monate, um Wirkung zu entfalten und das Seminar voll zu bekommen. Im August wartete ich immer noch. Das ist die traurige Realität. Und warum war der Flyer noch nicht fertig?
Es lag überhaupt nicht an mangelndem Engagement, Willen und Einsatz. Nein, sie wollten es perfekt machen! Sie wollten den besten Flyer aller Zeiten bauen. Sie wollten es so gut wie irgend möglich machen. Derweil hatte ich die Sorge, dass das Seminar gar nicht stattfindet, weil wir keinen Flyer hatten. Ich sagte: »Hätten wir doch in Gottes Namen einen schlechten Flyer!« – Wissen Sie, wie gekränkt ein Perfektionist sein kann, wenn man seine Arbeit kritisiert?
Dabei erinnere ich mich noch gut, wie wir vor einigen Jahren unseren besten Flyer produziert haben, den wir je hatten. Keine Agentur, kein Briefing, kein Re-Briefing, kein Angebot, keine Meetings, kein Entwurf, keine Diskussion. Wir fuhren zum Grafiker, setzten uns daneben und machten den Flyer einfach fertig. Es war uns völlig egal, wie lange es dauerte. Wir starteten am Samstag um 9:00 Uhr mit unserem Textentwurf und beschlossen: Das machen wir jetzt fertig. Am Ende waren es 17 Stunden. Bis Sonntagmorgens um 4:00. Fertig. Wir hatten Monate Arbeit gespart. Es war nicht nur der beste Flyer, es war auch der kostengünstigste aller Zeiten für uns. Er war nahezu perfekt.
Perfektion ist eine Illusion und zum Pragmatismus gibt es keine Alternative.
Nein, ich will nicht warten. Ich will nicht beim Arzt warten, nicht auf den Zug, nicht auf das Okay eines Chefs, nicht auf die richtigen Voraussetzungen, nicht auf den Schuldigen. Warten ist passiv. Ich warte nicht. Stattdessen versuche ich, die Dinge ins Laufen zu bringen. Den Widerspruch zwischen Perfektionismus und Pragmatismus erkenne ich nicht an. |104| Perfektion ist eine Illusion, und zum Pragmatismus gibt es keine Alternative. Ich kann dem Perfekten schließlich nur dann möglichst nahe kommen, wenn ich einmal ganz pragmatisch damit angefangen habe.
Außerdem ist Perfektion manchmal gar nicht auszuhalten. Sie kann geradezu wehtun. Weihnachten ist bei vielen Familien so ein perfekter Tag. Da wird alles wochenlang vorbereitet, versucht perfekt zu machen, der Tannenbaum am besten mit einem Innenarchitekten designt und die Deko gepudert, um dann ein perfektes Weihnachten zu erleben. Alles, wirklich alles ist perfekt, das Essen, die Geschenke, die Musik, die Lieder, die Ente, das Blaukraut, die Knödel, die Mousse, alles. Alles ist so perfekt, dass 80 Prozent aller
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