Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
einen an der Verbesserung der Kerze, die anderen an der Glühbirne. Nein, ständige Verbesserungen sind keine ausreichende Überlebensversicherung, nirgends, in keinem Bereich. Der Anspruch, der Beste zu sein, genügt nicht, sondern kann sogar die Existenz kosten.
Viel besser ist es, etwas Schlechtes zu produzieren, dafür aber ganz neue Pfade zu beschreiten und neue Kategorien zu errichten. Dazu braucht es kein Startkapital, es braucht auch keine besonderen Umstände. Den Weg zu ihrer Firmengründungsparty am 1. April 1976 mussten Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne zu Fuß zurücklegen. Denn für das nötige Startkapital von 1 750 Dollar hatten die drei Jobs’ VW-Bus verkauft. Und Woz’s Hewlett-Packard-Taschenrechner. Steve und Ronald hatten ihm das Ding aus den Händen reißen müssen. Ein Taschenrechner war für einen Nerd wie Woz damals so etwas wie der Stehkragen für Karl Lagerfeld. Man geht einfach nie ohne aus dem Haus. Den Apple I, einen braunen Holzkasten mit grauer Tastatur und dem Apple-Schriftzug in Laubsägearbeit, haben die drei am Küchentisch und im Schlafzimmer von Steve Jobs’ Eltern im Crist Drive 11161 in Palo Alto zusammengesteckt und in der Garage getestet. Hier haben sie ihren Freunden ihre Vision erzählt und vorgeführt. Sie waren Entwicklung, Produktion und Vertrieb in einem.
|109| Sie haben durchaus auf jedes Detail geachtet und es so gut wie möglich gemacht. Aber sie haben nicht gewartet, bis es perfekt war. Wären sie Perfektionisten gewesen, wäre der erste Apple ein HP geworden. Denn Wozniak arbeitete bis zum Tag der Gründung bei Hewlett Packard, dem Branchenriesen in Palo Alto. Fünf Mal ist er abgeblitzt mit seiner Idee der Entwicklung eines Personal Computers für den Massenmarkt. Kein Potenzial. Zu unausgereift. Und so weiter. Bis die drei die Sache selbst in die Hand genommen haben. Heute ist Apple eine der drei wertvollsten Marken der Welt.
Ich habe beruflich und privat viele Menschen kennengelernt. Den meisten hätte man den Apple-Prototyp vor die Nase stellen und alles nötige Wissen in den Kopf beamen können. Sie säßen noch heute mit 1 750 Dollar in der Tasche zu Hause am Schreibtisch, um einen Business-Plan zu schreiben und die repräsentativste Firmenzentrale für Ihr Personal-Computer-Start-up zu suchen. Manche Menschen verbringen ihr ganzes Leben damit, sich auf etwas vorzubereiten, um am Ende der Vorbereitung festzustellen, dass sie sich noch besser vorbereiten müssen.
Wie erfolgreich das genaue Gegenteil der Perfektion, nämlich die vollendete Banalisierung ist, hat ein in der Wirtschaftsgeschichte einzigartiges Brüderpaar bewiesen – Karl und Theo Albrecht. In der Huesstraße 89 in Essen-Schönbeck fing alles an. Der Vater, Bäckergeselle, gab 1913 das Backen auf, um einen Brothandel zu eröffnen. Als er im Ersten Weltkrieg eingezogen wurde, führte die Mutter den Laden weiter, als klassischen Tante-Emma-Laden. Das änderte sich rasch, als die Söhne aus dem Zweiten Weltkrieg heimkehrten. Ihr Vater starb 1948, und sie übernahmen das Geschäft der Eltern vollständig. Mit dem Willen, es besser zu machen.
Denn die Konkurrenz im Lebensmittel-Einzelhandel war genossenschaftlich organisiert, Verkaufstreiber waren Rabattmarken. Die Kunden mussten sammeln, kleben und dann im Laden einlösen. Ein für alle aufwändiges und nervtötendes Verfahren. Doch die Brüder tickten da ein wenig nüchterner: »Alle Rabatte schon abgezogen!« – Ihr Erfolgsrezept, billiger als alle anderen zu sein, war geboren. Mit diesem Prinzip räumten sie den Markt auf. Und sie sparten radikal. An der Dekoration. An der Ausstattung. Am Personal. Und |110| sogar am Sortiment. Fünf Jahre, nachdem sie die »Karl Albrecht Kolonialwaren« vollständig von ihrer Mutter übernommen hatten, machten sie in 31 Filialen an der Ruhr einen Umsatz von 6 Millionen Mark. 1960, sieben Jahre später, nahmen sie die 100-Millionen-Hürde. Sie änderten den Namen von Albrecht Discount in Aldi. Und traten ihren Siegeszug um die Welt an. In den USA heißen sie übrigens Trader Joe.
Sie waren nie brillant. Sie waren kleine Knauser. Karl hat bis zu seinem Tod Gohrsmühle-Briefumschläge verschickt, auf denen er die alte vierstellige Postleitzahl durchgestrichen und durch die neue, fünfstellige ersetzt hatte. Die Brüder waren nie perfekt. Nur immer den entscheidenden Cent besser als alle anderen. Das hat sie zu den reichsten Deutschen aller Zeiten gemacht. Reicher als die Wittelsbacher, die
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