Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
macht Fehler. Und wir haben doch so große Angst davor, einen Fehler zu machen!
Das, was wir tun, ist ja auch bei geschätzten 90 Prozent der Menschen nicht unsere Herzensangelegenheit, sondern nur ein Job.
Warum ist das so? Wir haben Angst vor Fehlern, weil uns das Ergebnis unseres Handelns im schlimmsten Fall eigentlich egal ist. Weil wir nicht immer wirklich hinter unserer Arbeit stehen. Weil unser Handeln nicht auf unser Werk zielt, sondern auf die Bewertung unserer Arbeit. Im Klartext: Wir wollen gelobt werden, dafür, dass wir etwas tun. Nicht stolz sein auf das Ergebnis. Das, was wir tun, ist ja auch bei geschätzten 90 Prozent der Menschen nicht unsere Herzensangelegenheit, sondern nur ein Job.
Auf die obligatorische Frage im Vorstellungsgespräch nach den größten Schwächen bekommen Sie als Arbeitgeber meistens eine von zwei Antworten von Bewerbern: »Na, vielleicht bin ich manchmal zu ungeduldig«, lautet die erste Variante. Die zweite klingt so: »Hm, möglicherweise bin ich ein wenig zu perfektionistisch.« Manchmal bekommen Sie auch beide Antworten auf einmal. Sagen wollen Ihnen die gut vorbereiteten Bewerber damit zwischen den Zeilen: »Ich bin schnell und ich arbeite gründlich.« Aber ich übersetze beide Sätze für mich provokativ so: »Ich habe Angst vor dem Ergebnis, deswegen ist die Zeit, bis es da ist, für mich eine Qual. Und deshalb scheue ich auch den ersten Schritt und verzögere das Ergebnis, wo ich kann.«
… hohe Verbesserungskompetenz haben, aber eine grauenhaft schlechte Erschaffenskompetenz
Vielleicht sind wir von klein auf systematisch zu solchen braven, ungeduldigen und perfektionistischen Mitarbeitern erzogen worden, die gelobt werden dafür, dass sie etwas tun, und zwar gründlich und gewissenhaft. Zu Arbeitsplatzbesitzern, die akribisch ihre Pflicht erfüllen, die also genau tun, was man ihnen sagt, dass sie tun sollen. Völlig egal, was hinten dabei rauskommt. Wenn wir einem Kind zurufen: »Das machst du aber toll!«, dann lenken wir den Fokus auf die Tätigkeit, und weg vom Ergebnis. Vielleicht wurden wir so im Durchschnitt |101| zu Tüftlern erzogen, die eine hohe Verbesserungskompetenz haben, aber eine grauenhaft schlechte Erschaffenskompetenz.
Besserwissen ist unsere große Stärke.
Ich erlebe es täglich. Wenn Sie einem Menschen sagen: Schreib mal einen Brief! Also nicht einen Standardbrief, sondern einen, bei dem man etwas Neues formulieren muss. Dann tun sich 90 Prozent der Leute extrem schwer. So ein weißes Blatt ist teuflisch schwierig schwarz zu bekommen! Erst mal Lamento nach dem Motto: Wer nicht weiter weiß, der bildet einen Arbeitskreis. Aber wenn Sie demselben Menschen einen fertigen Rohentwurf geben, weiß er genau, wie man ihn besser schreiben könnte. Das wissen sie alle. Besserwissen ist unsere große Stärke.
Aber wenn ich doch weiß, dass ich jetzt etwas schreiben muss, dann muss ich doch sofort anfangen damit, irgendetwas hinsetzen, einfach drauflosschreiben! Auch wenn es schon fünf vor fünf am Nachmittag ist. Am nächsten Tag kann ich mich ja dann hinsetzen und den Kopf schütteln: Welcher Trottel hat denn diesen Mist geschrieben! Ach so, das war ja ich selbst … Und dann ist der Brief flugs verbessert. Das spart extrem viel Zeit! Etwas ist besser als nichts. Viel besser!
Natürlich braucht es Mut für die ersten Meter. Pressetexte beispielsweise, alle Sorten von Marketingtexten, vom Newsletter bis zur Produktbeschreibung sind eine heikle Sache. Vergreift man sich hier im Ton oder setzt den Fokus falsch, kann die Wirkung verheerend sein. Also, was mache ich? Einfach drauflosdiktieren! So schnell wie möglich einen schlechten Text zimmern. Dann bleibt mehr Zeit zum Verbessern, und der Text soll ja schließlich am Ende gut werden. Am Ende! Wenn ich einen Marketingtext aufsetze, habe ich nicht den Anspruch, gute Arbeit abzuliefern, das wäre völlig unvernünftig. Ich habe lediglich den Anspruch, dass der Entwurf sofort da ist, damit er so schnell wie möglich verbessert werden kann. Sonst liegt die Arbeit zu lange auf der Bank, auf der langen, wird terminiert, verschoben, und von Tag zu Tag als schwieriger empfunden.
|102| Eine meiner Mitarbeiterinnen war Diplom-Mathematikerin, eine enorm intelligente und kluge Frau. Jedoch fiel es ihr immer schwer, etwas zu entwickeln, und sie verbrachte gefühlte Jahrzehnte vor weißen Blättern Papier, bis wir dieses Prinzip der »schnellen schlechten Qualität« eingeführt haben. Nun gehen die Prozesse
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