Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
mit der passiven Haltung, die unsere Gesellschaft lähmt: Wann immer wir meinen, vom Kollektiv, von der Gemeinschaft, von der Gesellschaft getragen werden zu können, dann lassen wir das zu – und stellen unsere eigenen Bemühungen ein. Wir steigen auf Rollbänder und geben die Verantwortung über unsere Fortbewegung ab. Wir steigen in den Sozialstaat Deutschland ein und geben die Verantwortung für die Risiken des Lebens ab. Wir haben das Bündnis mit der Agentur für Arbeit und geben die Verantwortung für die Gestaltung unseres Arbeitslebens ab. Wir wissen, dass Arbeitgeber Trainings bezahlen, und geben die Verantwortung für Weiterbildung und Weiterentwicklung an den Chef ab. Und wir |150| wissen, dass das Schulsystem von unseren Steuern bezahlt wird und geben auch da die Verantwortung ab, unsere Kinder auf das Leben vorzubereiten. Es sind immer die anderen, die uns befördern sollen, wohin auch immer. Und es sind immer wir, die darauf warten.
Vor allem: Die meisten Menschen haben die Zeitachse überhaupt nicht im Blick. Nur so ist es möglich, dass es Jobs gibt, die aus Nichtstun bestehen. Am Münchener Flughafen beispielsweise sitzen im Sicherheitsbereich acht Menschen aus Fleisch und Blut, die nichts anderes tun, als darauf zu achten, dass alle vorwärts durch den Bereich geschleust werden und keiner zurückgeht. Was da an Zeit verloren geht, jeden Tag, jede Stunde! Die machen nichts! Eine einfache technische Vorrichtung, ein Drehkreuz oder so was würde den gleichen Zeck erfüllen.
Sehen die Leute denn nicht, wie die tote Zeit aus der Luft fällt wie vergiftete Fliegen?
Solange solche Jobs besetzt werden können, solange es Menschen gibt, die ihre Lebenszeit für so etwas wegwerfen, geht’s uns als Gesellschaft nicht gut. Wenn es wenigstens Studierende wären, die diese Jobs machen, die könnten während der Rumsitzerei ihren Stoff lernen. Oder der Flughafen könnte die Arbeitskraft dieser Leute an ein Schreibbüro verleihen und sie Texte abtippen lassen. Oder was auch immer. Aber Menschen, die Zeit totschlagen, das kann ich kaum mit ansehen. Mir dreht es fast den Magen um, wenn ich damit konfrontiert werde. Sehen die Leute denn nicht, wie die tote Zeit aus der Luft fällt wie vergiftete Fliegen? Mir kommt es immer so vor, als würde ich durch einen Sumpf aus toter Zeit waten müssen, bis ich durch diese Sicherheitsschleuse und an diesen Zeitzombies vorbei bin. Und wenn ich dann auf die Toilette muss und sehe da diesen Klomann herumsitzen und das Geld verstecken, damit das Tellerchen ärmlich genug aussieht … ja, warum strickt er nicht wenigstens einen Pulli?
Mir geht es überhaupt nicht um ständige Wertschöpfung, um Maximalauslastung. Mir geht es um den einzelnen Menschen! Der kann ja auch gerne einen guten Roman lesen. Ich habe einfach nur immer Angst, dass unser Hirn die Schwindsucht kriegt, wenn wir ihm gar kein Futter mehr zuführen.
|151| Wartezeit ist tote Zeit. Ich weiß schon, manchmal muss man Jahre warten, bis etwas fertig ist oder zur rechten Zeit kommt. Darin bin ich nicht gut. Manchmal ist man nämlich zu früh dran. Ich habe beispielsweise mal ein Buch geschrieben, das hieß
Jeder Tag ist Schlussverkauf
, ein Ratgeber übers Handeln und Feilschen. Ich veröffentlichte es, bevor das Rabattgesetz fiel, weil ich es nicht abwarten konnte. Das Buch verkaufte sich ganz gut. Und das ärgerte mich grenzenlos. Denn es hätte sich nicht einfach nur ganz gut, sondern doppelt und dreifach so gut verkauft, wenn es später gekommen wäre.
Ich war schon x-fach zu früh dran. Lieber haue ich auf etwas sofort drauf, anstatt abzuwarten, bis die Zeit reif ist. Hauptsache gehandelt! Immer wieder mache ich mir Sachen kaputt, bloß weil ich keine drei Tage Geduld habe. Für die Kunst des richtigen Augenblicks bin ich kein gutes Vorbild. Aber in deutlich mehr Fällen hat meine Ungeduld dafür gesorgt, dass ich große Erfolge erzielt habe – einfach weil ich Dinge sofort erledigt habe. Ruckartig.
Ein schlechtes Ergebnis, das sofort erbracht wird, ist ein gutes Ergebnis.
In seiner berühmten Ruckrede vom 26. April 1997 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog das Wort »Ruck« genau einmal gesagt. Aber das Wort »Chance« hat er siebenmal gesagt. Was nutzen Chancen, wenn man sich keinen Ruck gibt? Ruck bedeutet schlicht: sofort, jetzt und gleich etwas Unvollständiges abliefern. Ein schlechtes Ergebnis, das sofort erbracht wird, ist ein gutes Ergebnis. Fast.
Wie soll das denn gehen?
Warum sterben
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