Glueckskinder
schließlich fündig. Sie beschrieb mir das wunderschöne ozeanische Gefühl, das sie als Ungeborenes hatte, sie erlebte sich Purzelbäume schlagend und unbeschwert, und je weiter sie in der Schwangerschaft zurückging, desto weniger fand sie es störend, dass von ihrer Mutter so wenig Liebe zu fließen schien.
Dann schien sie den Mutterleib zu verlassen, und mir war zunächst nicht klar, »wo« sie sich nun befand, aber es schien der richtige Ort für sie zu sein, denn nun flossen endlich Tränen der Erleichterung und der Rührung, die eine Heilung fast immer in dem Augenblick begleiten, in dem sie sich vollzieht. Nach kurzer Zeit waren es Tränen des Glücks.
Ich fragte sie, wo sie denn nun sei. Sie sagte, das wisse sie auch nicht, aber sie sei so glücklich wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Es war ein schöner Augenblick, und ich gönnte ihr dieses Glück von ganzem Herzen. Ich ließ sie dort lange verweilen, um den Heilungsprozess nicht vorzeitig abzubrechen. Ihr Gesicht strahlte so sehr, während weiterhin die Tränen liefen, und es war für mich eine große Freude, sie in diesem Zustand zu betrachten.
»Ich befinde mich am Punkt der absoluten Glückseligkeit«, sagte sie nach einer Weile. »Ich habe überhaupt nichts Körperliches. Ich bin einfach nur ein winziger Punkt in einem kleinen Kreis. Ich denke nicht, ich fühle keinen Körper, ich fühle nur meine Gegenwart. Ich weiß nur: Ich bin ! Und alles, was ich fühlen kann, ist Glück. Glück in einer Ausschließlichkeit und einem Ausmaß, wie ich es mir nie hatte vorstellen können.«
Davon hatte ich bis zu diesem Moment noch nichts gehört. Also fragte ich sie, wo der Punkt der absoluten Glückseligkeit sich denn befände. »Es ist der Augenblick unmittelbar während meiner Empfängnis«, erzählte sie mir. »Meine Eltern und ich haben gerade eine Übereinkunft getroffen. Ich habe mich damit einverstanden erklärt, ohne Vater groß zu werden. Ich bin ihm einfach nur dankbar, dass er mir mein Leben schenkt. Es ist eine tiefe und ehrliche Dankbarkeit. Das habe ich bisher noch nie so gesehen, doch nun kann ich diese Dankbarkeit mit meinem ganzen Herzen wirklich empfinden. Meine Mutter ist sehr schwach. Ihr fehlt der Mut, ein Kind großzuziehen. Sie hat Angst vor Verantwortung und noch größere Angst, alles falsch zu machen. Ihre größte Angst ist es, eine schlechte Mutter zu sein, wie ihre eigene Mutter es war. Es hilft mir nun, dass ich diese Angst nur zu gut kenne, denn es ist auch meine Angst. Ich tröste meine Mutter also. Ich sage ihr, dass ich weiß, wie es sich anfühlt, eine Rabenmutter zu sein. Ich erkläre ihr, dass wohl jede Mutter damit rechnen muss, mehr oder weniger eine Rabenmutter zu sein. Es gibt einfach keine perfekte Mutter. Ich glaube, ich erkläre mir das selbst auch gerade. Meiner Mutter versichere ich nun, dass ich weiß, was mich erwartet, dass ich weiß, dass es nicht sehr viel Liebe ist, die sie mir zur Verfügung stellen kann, dass mir dieses relativ geringe Maß an Liebe aber dennoch ausreicht, um zu diesem Leben aus vollem Herzen ›Ja‹ zu sagen. Ich erkläre mich einverstanden!«
Das war meine erste Begegnung mit dem Punkt der absoluten Glückseligkeit. Später habe ich bei Bedarf auch andere Menschen dorthin begleitet, und sie alle haben auf die eine oder andere Weise eine ähnliche Erinnerung daran in sich finden können.
Meine Patientin hatte sich erfolgreich mit ihrer Mutter aussöhnen können. Später schrieb sie mir, dass diese innere Reise ihr Leben enorm verändert hätte. Die Wut auf sich selbst und auf ihre Mutter und ihre Tochter sei wie weggeblasen. Stattdessen habe sie das Glück in ihrem Alltag wiedergefunden.
Von allen glücklichen Situationen, die ich innerhalb meiner Arbeit erleben durfte, war dies die allerglücklichste. Gewiss ist es eine außergewöhnliche Situation, doch ich wollte sie Ihnen auf keinen Fall vorenthalten. Die Vorstellung, dass es einen solchen Punkt der absoluten Glückseligkeit geben könnte und dass wir nicht nur in den Armen unserer Mütter unser größtes Glück erfahren, sondern vielleicht schon viel früher und vor allem viel intensiver, macht Hoffnung darauf, dass in jedem von uns schon dort eine wunderschöne allererste Glücksperle angelegt wurde, aus der längst eine Perlenkette geworden ist.
Die Glücksformel
Als Baby in den Armen unserer Mutter oder sogar noch früher sind wir also dem Glück wirklich schon sehr nahe gekommen. Wir können mit Sicherheit
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