Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Weile
saßen wir so, hielten das Gesicht in die Sonne und schwiegen. Aus der Schalterhalle
drang kein Geräusch zu uns. Lautlos huschte eine Eidechse vorbei. Ein Schmetterling
kam, setzte sich auf meine Fußspitze, flatterte weiter.
»Also, das
mit vorgestern Abend«, sagte ich schließlich und fand, meine Stimme hörte sich komisch
an, »das war blöd. Saublöd irgendwie. Tut mir leid.«
Katinka
blinzelte. Ihre Brust hob und senkte sich wieder. Erst jetzt sah ich die feinen
roten Sprenkel in ihrem Gesicht. Sie musste etwas abbekommen haben, als die Farbbombe
auf Eichelscheids Tisch geplatzt war.
»Weißt du«,
sagte sie, »ich brauche die Sponsoren. Sonst könnte ich von meinem Sport überhaupt
nicht leben. Heiner hat sein Deputat wegen mir reduziert, und ist dir klar, wie
viel ein Grundschullehrer verdient?« Sie machte eine Pause. »Die Deutsche Bank stellt
mir für ein Jahr ein Auto. Nach Olympia ist Schluss damit. Ein Auto plus Benzin,
mehr nicht. In Deutschland fährt jeder zweite Angestellte einen Dienstwagen, und
alle finden es in Ordnung. Aber mir schmeißen sie Farbbeutel hinterher.«
»Die Aktion
galt nicht dir, Katinka. Sondern diesem Typen aus Frankfurt und seiner Korona.«
»Natürlich
galt sie auch mir«, erwiderte sie müde. »Genau wie die Schmierereien damals im Parkhaus.
Denkst du, mir macht es Spaß, für Banken und Unternehmen den Werbeclown zu spielen?
Aber ich habe keine Wahl. Oder soll ich mich auf mein Dasein als Hausfrau und Mutter
konzentrieren?«
Ich schwieg.
Klang so jemand, der seinen Olympiastart ad acta gelegt hatte?
»Es hilft
nichts«, sagte sie. »Ich muss wieder rein. Die Presse wird nicht eher abziehen,
bis ich genau erklärt habe, wo es mir wehtut und warum man deswegen keinen Marathon
laufen kann.«
»Warte.«
Ich zog ein einigermaßen sauberes Taschentuch hervor, feuchtete es mit der Zunge
an und wischte ihr die roten Spritzer aus dem Gesicht. Ihre dunklen Augen folgten
jeder Bewegung. Als ich schließlich fertig war, lächelte sie schwach.
»Danke.«
»Moment.«
Ich hielt sie am Arm fest. »Das mit deinem Bruder … scheiße, wie sollte ich das
wissen? Ich könnte mir in den Arsch beißen! Manchmal sage ich halt Sachen, die mir
hinterher dämlich vorkommen. Ich bin diplomierter Depp und mache gerade den Doktor
im Fach Idiotie. Sorry.«
Sie nickte
und stand auf. »Schon gut. Aber diesen Brose kennen wir wirklich nicht, Heiner und
ich.«
35
»Wo bewahrst du eigentlich deine
Medikamente auf?«, fragte ich Christine am nächsten Morgen.
»Was für
Medikamente?«
»Alles.
Hustensaft, Rheumamittel, Tabletten.«
»Ich habe
kein Rheuma. Außerdem weißt du, wo die Sachen sind. Im Bad, in dem Hängeschränkchen
neben dem Spiegel.«
»Ist das
alles?«
»Warum fragst
du? Brauchst du was?« Kopfschüttelnd schmierte sie sich ein Honigbrot. »Einiges
ist noch in einer Tasche im Keller. Das Meiste vermutlich abgelaufen.«
»Wieso im
Keller?«
»Weil du
Rumpelstilzchen spielen würdest, wenn du sähest, was Frauen in meinem Alter brauchen.«
»Echt? Ist
es so viel?«
»Nein, ist
es nicht. Nur in deinen Augen.«
Schweigend
schlürfte ich meinen Kaffee. Nur in meinen Augen? Alles bloß eine Frage der Wahrnehmung?
Okay, ich wollte gern zugestehen, dass ich in diesem Fall, mit meinen lächerlichen
zwei Schachteln Aspirin, eine spezielle Sicht auf die Dinge hatte. Außerdem war
ich ein Mann. Und damit offenbar befangen.
»Vor ein
paar Tagen hatte ich das Vergnügen, einen Blick in Katinka Glücks Medikamentenlager
zu werfen«, erklärte ich. »Ich sage dir, die könnte eine komplette Intensivstation
bestücken.«
»Sie ist
Sportlerin.«
Ich verdrehte
die Augen. Dieses Argument aus dem Mund meiner Exfrau!
»Und sie
hat Kinder«, ergänzte Christine. »Das lässt deinen Bestand explodieren, frag meine
Freundin Paula. Fieberzäpfchen, Nasentropfen, Mittel gegen Durchfall – dauernd rennst
du zur Apotheke.«
»Mag sein.«
»Läusemittel
nicht zu vergessen. Hatte deine Katinka kein Läusemittel im Schrank?«
»Weiß ich
nicht«, sagte ich genervt und stand auf. Herrje, was interessierten mich anderer
Leute Läuse? Und wie sollte ich meinen Mitmenschen klarmachen, dass ich insgeheim
den Traum vom Öko-Sportler geträumt hatte, der sich nur von Wasser ernährt? Oder
sagen wir: von Bier und Wasser. Ich war ein dämlicher Romantiker, aber das ging
keinen etwas an.
In der Zeitung
gab es wunderbare Fotos von der gestrigen Farbbeutelattacke. Grellrot
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