Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
der Sohn seines Vaters.«
»Der sich
damals nicht für München qualifiziert hat«, flüsterte ich dem Kommissar zu. Fischer
konnte ja nicht alles wissen!
»Simon war
sehr schwankend in seinen Leistungen«, fuhr Katinka fort. »Mal deutsche Spitze,
dann wieder weit unter seinem Niveau. 2004, in der Olympiasaison, war es am schlimmsten.
Über 3000 Meter lief er knapp am deutschen Rekord vorbei, danach passte nichts mehr
zusammen. Mein Vater mischte sich ein, aber das führte nur zu Streit. Über die Trainingsmethoden,
die Ernährung, die Lebensführung allgemein. Als Simon an der Norm scheiterte, war
das Verhältnis unwiderruflich im Eimer. Ein Jahr später machte er Schluss. Endgültig.«
»Verstehen
Sie«, erklärte ich Fischer, »der Junge sitzt in der Garage, bei laufendem Motor,
und seine Schwester findet ihn. Der Gestank, die Enge … er war sogar angeschnallt,
sagt Heiner. Sie hat noch versucht, ihn zu retten, mit Beatmung und all dem Kram,
aber keine Chance.«
»Nun bin
ich es, die in London laufen wird«, schloss Katinka. »Ich meine, einer muss es ja
tun. Dass aus meinen Kindern einmal Spitzenläufer werden …« Sie lächelte. »Naja,
Sie kennen meinen Mann nicht.«
Der Zauberer
nahm das Mikrofon wieder in Empfang.
»Und seitdem«,
sagte ich, »hat sie einen Schlag weg. Kann man doch verstehen, oder? Ein Jahr lang
ist sie in kein Auto mehr gestiegen, fährt überhaupt nur, wenn es sein muss. Fenster
auf, Lüftung an und solche Spielchen. Geschlossene Räume: ein Horror. Tiefgaragen:
schlimm. Normale Garagen: ganz schlimm.« Ich schüttelte den Kopf. »So ein Dreck
aber auch.«
»Wir danken«,
rief der Zauberer, »unserer Olympionikin Katinka Glück für diese Ausführungen zum
Thema Erfolge in Wirtschaft und Sport. Ich übergebe nun das Wort an …«
»Wes Brot
ich ess, des Lied ich sing«, knurrte Kommissar Fischer neben mir. »Ganz schön windschnittig,
Ihre Frau Glück.«
Jetzt war
ich es, der ihn stirnrunzelnd anblickte. Hatte er etwas anderes gehört als ich?
Aber schon
wurde vorn ein neuer Redner herbeigezaubert, Abgesandter der Frankfurter Zentrale,
Aufsichtsratsmitglied und somit Oberhaupt jener Sippe, deren jüngster Spross die
Bahnstadtfiliale war. Er ging die Sache von der nüchternen Seite an, unterfüttert
mit so vielen Zahlen und Statistiken, dass meine Gedanken unwillkürlich zu Brose,
dem Mathematiker, abschweiften. Wirtschaft war doch auch eine Art Glücksspiel. Vielleicht
hingen bald Automaten neben den Bankschaltern. Man steckte seine EC-Karte in den
Schlitz, die Felder rotierten und blieben auf Finanzkrise stehen. Oder auf Wachstum.
War es das, wogegen Occupy kämpfte? Und was hatten Tietje und Brose damit zu tun?
Meine Gedanken
waren schon einmal klarer strukturiert gewesen als in diesem Moment, aber das lag
wohl an der funkelnden Tempelanlage um mich herum und an dem Blick, den mir Katinka
unter ihrer Wimperntusche zuwarf. Wie auch immer, es wunderte mich kein bisschen,
als ich plötzlich, noch mitten in der Rede des Finanzheinis aus Mainhattan, Guy
Fawkes zu Gesicht bekam.
Genauer
gesagt: drei Mal Guy Fawkes. Drei Masken mit dem Antlitz des Attentäters von 1605.
Und das nur, weil ich, ganz ohne konkreten Anlass übrigens, über die Schulter geschaut
hatte. Um den gesamten Raum lief eine Empore, von der mehrere Türen abgingen. Dort
oben standen sie, die drei maskierten Gestalten, im Rücken des Publikums, und jede
hielt etwas in der Hand, das aussah wie wassergefüllte Luftballons.
Pulver,
wie damals bei der Verschwörung in London, war es jedenfalls nicht. Der erste Maskierte
holte aus, schleuderte das Ding nach vorn und traf das Transparent. Paff! Über dem
Hesse-Zitat breitete sich ein großer roter Fleck aus. Sofort brachen Schreie des
Entsetzens los, die einmal mehr belegten, was für eine wunderbare Akustik das neue
Gebäude besaß. Jetzt der zweite Wurf. Weil der Redner in Deckung ging, verfehlte
ihn der Farbbeutel, um stattdessen auf dem Bistrotisch zu zerplatzen, an dem Dr.
Eichelscheid stand. Den Armen färbte es rot bis zur Brille. Bevor Guy Fawkes zum
dritten Mal zuschlagen konnte, sammelten sich die Verteidiger der Bank. Sie stürmten
die Treppe zur Empore hoch, ich hinterher. Farbbeutel Nummer drei traf wieder das
Transparent, somit war Dr. Eichelscheid der einzige direkt Geschädigte des Überfalls.
Als wir
auf der Empore ankamen, hatten die Maskierten bereits das Weite gesucht. Ihre Schritte
hallten durch einen Flur, der in den rückwärtigen Teil des
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