Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
leuchtete
Dr. Eichelscheids Anzug von Seite 1. Die jugendlichen Attentäter, so stand darunter
zu lesen, müssten die 800 Euro, die das Kleidungsstück gekostet habe, persönlich
aufbringen. Nun wusste ich zufälligerweise von meinem Freund Covet, dass auch einige
Lokalredakteure der Neckar-Nachrichten zu den Geschädigten der Finanzkrise gehörten.
Damit entpuppte sich die belanglose Meldung in meinen Augen als Einfalltor für Leserbriefe:
»800 Euro? Typisch! So was können sich nur Banker leisten! Und wir kleinen Sparer
können bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf Entschädigungen warten.«
Der arme
Friedemann Eichelscheid. So viele Menschen hatte er gegen sich aufgebracht!
Zeitung
zur Seite, Anruf bei Kommissar Fischer. Den ich jedoch nicht ans Telefon bekam.
Krankgeschrieben, beschied ein kurz angebundener Kollege.
»Der Kommissar
ist krank?«
»Krankgeschrieben.«
Bei dieser
Diagnose blieb es. Ich verzichtete auf einen Anruf bei Fischers zu Hause. Wollte
den Nachkonfirmationskater nicht stören.
Was tun?
Schon schwebte mein Finger über den Tasten, um die Nummer des Berliner Fischers
zu wählen, doch dann ließ ich es. Wenn der Lispler mir etwas mitzuteilen hatte,
würde er sich melden. Ich hätte ihn gern nach weiteren Erkenntnissen in Sachen Tietje
gefragt, nach de Weert und seinen Überlebenschancen, aber wer garantierte, dass
mir der Polizist die Wahrheit sagte? Oder wenigstens einen Teil der Wahrheit?
Brose? Der
gehörte mir. Ich wollte nicht umsonst gegen einen Seehund gekämpft haben.
Und dann
wählte ich doch eine Berliner Nummer. Madeleine Klein klang so frisch, als habe
sie an diesem Morgen bereits drei Enthüllungsstorys eingetütet. Frisch und unverschämt,
um exakt zu sein.
»Wenn Sie
glauben, Sie könnten mich an der Nase herumführen, Herr Koller, haben Sie sich geschnitten.
Es gibt keine Alice in Tietjes Umgebung, überhaupt keine! Ich habe wirklich Besseres
…«
»Natürlich
gibt es sie. Dann haben Sie eben nicht sorgfältig genug eruiert.«
»Wollen
Sie mir vorschreiben, wie ich meine Arbeit zu tun habe?«
»Soll ich
vielleicht nach Berlin kommen und alles selbst machen?«
»So allmählich
wird mir klar, warum Ihnen Tietje nichts anvertraut hat!«
»Aber Ihnen!«
Piff-paff,
so ging es hin und her zwischen der Klein und dem Koller. Ihre Turmmähne loderte
götterdämmerungsmäßig bis herüber in die Kurpfalz, ich hielt dagegen. Zum Teufel
mit diesen Revolverblättern! Schafften es nicht mal, das Schätzchen eines Privatdetektivs
aufzuspüren.
Und wenn
es sich bei Alice doch nicht um Tietjes Freundin handelte? Wer war sie dann?
Darauf fiel
mir an diesem Freitag keine Antwort mehr ein und am folgenden Wochenende auch nicht.
Den Samstag verbrachte ich mit Tätigkeiten, die nicht einmal von Ferne an den Fall
erinnerten. Erst half ich einem Kumpel beim Umzug, dann feierten wir eine Umzugsparty.
Tags darauf schwitzte ich den überflüssigen Alkohol im Wald wieder aus. An der Seite
Katinkas, bei einem ihrer Überdistanzläufe. Trotz ihres Radiointerviews zog sie
ihr Vorbereitungsprogramm gnadenlos durch. Aber ich merkte, wie schwer ihr die letzten
Kilometer fielen.
»Am Mittwoch
bin ich wieder bei Dr. Karst«, sagte sie zum Abschied. Sie sah blass aus.
»Der übliche
Medizincheck?«
Sie nickte.
Auch ich
war froh, wieder zu Hause zu sein. Duschte ausgiebig, ging mit Christine ins Kino
und wachte am nächsten Morgen erfrischt auf. Mal sehen, wer am Wochenende außer
Katinka und mir noch Sport getrieben hatte! Schau an, die Saison der Radfahrer hatte
begonnen. In Italien und Belgien pinselten sie wieder die Namen ihrer Idole auf
den Asphalt. Alle Tests negativ, die Stimmung positiv. Von den algerischen Fußballstars
der Neunziger konnte man das nicht behaupten, denn die gebaren lauter behinderte
Kinder und fragten sich, was für Spritzen sie damals bei ihren Klubs in Europa bekommen
hatten. Auf den Ampullen waren die Inhaltsstoffe ja nicht verzeichnet gewesen, und
wenn, dann nicht in Arabisch. Ansonsten: alles in Butter bei König Fußball. Doping
ist kein Thema für uns, ließ Meistertrainer Klopp verlauten. Die EM konnte kommen. Der Sturmlauf durch Polen, der Siegeslauf in ein besseres Europa , um mit
Sportlehrer Diem zu sprechen. Schon 1936 war Deutschland nicht zu stoppen gewesen.
1939 erst recht nicht.
Ganz hinten,
kurz vor den Todesanzeigen, fand ich eine kleine Rezension des Buchs von Daniela
Werner-Buttgereit. Bemerkenswert, lobte der Rezensent, fast eine Pflichtlektüre,
nur
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