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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Stattdessen zeigte er zur Decke und fragte mich,
was ich von dem neuen Gebäude hielte.
    Ich sah
mich um. Naja, es war eine Bank. Eine Bank und kein Tempel. Auch wenn sie so tat:
ein kreisrunder, lichtdurchfluteter Raum, mit spiegelnder Wandverkleidung und sternenartigen
Spots und einem Glasdach, durch das jeden Moment der Heilige Geist zu schweben versprach.
Oder ein Koffer voller Golddukaten. Unten auf dem Boden, im Zentrum der Halle, prangte
das Logo der Deutschen Bank. Lustigerweise blieb es frei, so viele Menschen sich
auch eingefunden hatten. Niemand wagte, es mit Füßen zu treten.
    »Das Antlitz
des Herrn«, flüsterte ich Fischer zu, doch er verstand nicht.
    Ich flüsterte,
weil ringsherum Stille eingekehrt war. Dr. Eichelscheid hatte mit ein paar anderen
Herren in Nadelstreifenzeug neben weiß überhängten Bistrotischen Aufstellung genommen.
Ganz entspannt, ganz volksnah. Weltklasse aus der Region sozusagen, und genau diesen
Spruch las man auf einem großen Transparent linker Hand. Dort, wo Katinka an einem
Tischchen lehnte. Die Fotografen drängten sich nach vorn und schossen ihre Blitze
ab. Auf der gegenüberliegenden Seite, hinter der hochgewachsenen Gestalt des Oberbürgermeisters,
prangte das unvermeidliche Klassiker-Zitat, Hesse diesmal: »Allem Neuen wohnt ein
Zauber inne.«
    Und deshalb
kam als Nächstes ein Zauberer.
    Er trug
Frack, Zylinder und weiße Handschuhe, und er sah dem Zauberer aus den Münchner Katakomben
verdammt ähnlich. Was außer mir natürlich keinem auffiel. Ohne ein einziges Wort
zu sprechen, vollführte er Kunststückchen, die das Publikum zu Begeisterungsstürmen
hinrissen. Auch die Banker klatschten höflich. Vor aller Augen ließ der Zauberer
Uhren, Taschentücher und eine volle Wasserflasche, die er von einem der Bistrotische
nahm, verschwinden. Manches tauchte wieder auf, die Flasche nicht. Ich wartete gespannt
darauf, ob er auch Bargeld wegzaubern würde, doch das überließ er wohl den Profis
an den Tischen. Am Ende gab es eine Explosion mit rosa Rauchwolken, und unter jämmerlichem
Quieken jagte ein Ferkel durch die Bankfiliale. Der Zauberer winkend hinterher.
    Was für
eine Gaudi!
    »Kastriert
oder unkastriert?«, fragte ich Kommissar Fischer.
    »In Biersoße
und mit einer Zitrone im Maul.«
    Das leuchtete
mir ein. Außerdem half es, die beiden Eröffnungsreden zu ertragen. Erst hieß Dr.
Eichelscheid alle willkommen, anschließend entbot der Oberbürgermeister sein Grußwort.
Einen der beiden stellte ich mir in Biersoße und mit Zitrone im Maul vor, ich verrate
aber nicht, wen. Die Reden waren vergleichsweise kurz, man gab sich jovial, malte
die Zukunft des neuen Stadtteils in den leuchtendsten Farben, dann kam erneut der
Zauberer.
    Er zauberte
diesmal nicht – oder nur im Vorbeigehen, Eichelscheids Einstecktuch musste dran
glauben –, sondern schritt im Stil eines Conférenciers von einem Promi zum nächsten
und kitzelte jedem Lobeshymnen auf die Bank und ihre neue, in jeder Hinsicht zukunftsweisende
Filiale aus dem Jackett. Irgendwann stand er auch neben Katinka, zückte sein Mikro
und stellte die dümmste aller Fragen: was Spitzensport und Ökonomie miteinander
zu tun hätten. Katinka lächelte ihn TV-tauglich an, ihr kurzes Haar war dick gegelt,
und irgendetwas hatte sie mit ihren Lippen gemacht, aber ihre Stimme war klar wie
immer, als sie antwortete.
    Sie sagte:
»Nun, ich glaube, uns Sportler treibt im Wesentlichen dasselbe an wie erfolgreiche
Unternehmer: der Wunsch, die selbst gesteckten Ziele zu verwirklichen, die eigenen
Leistungsgrenzen auszuloten und, wenn möglich, zu überschreiten.«
    Der Zauberer
nickte. Ich rempelte Kommissar Fischer an: »Haben Sie sein Mikro gesehen? Es ist
verhext!«
    Fischer
runzelte die Stirn. Natürlich, das konnte er sich nicht vorstellen: dass Katinkas
Antwort durch das Zaubermikrofon völlig entstellt worden war. Geradezu ins Gegenteil
verkehrt! Denn eigentlich hatte sie etwas ganz anderes gesagt.
    Sie hatte
gesagt – Achtung, Ohren auf: »Kannten Sie meinen Bruder? Simon Glück, schon mal
gehört? Sehen Sie, wegen ihm laufe ich, und mit irgendwelchen Wirtschaftsfuzzis
hat das nichts zu tun.«
    Jetzt nickte
ich, und dem Zauberer blieb die Spucke weg.
    Katinka
nahm ihm das Mikro aus der Hand. »Ich war es, die ihn damals gefunden hat. In unserer
Garage. Sieben Jahre ist das jetzt her. Als Läufer war Simon viel talentierter als
ich. Aber auch sensibler. Verwundbar. Im tiefsten Inneren so klein. Außerdem war
er ein Mann,

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