Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
leider ohne neue Erkenntnisse. Ich erinnerte mich an das Porträt eines Kraftsportlers
aus der Region vor einigen Tagen. Es war etwa dreimal so ausführlich geraten.
Egal, der
wahre Kraftsportler hieß Max Koller! Wo ist der Berg Arbeit, den ich abtragen kann?
Wo stecken die Herausforderungen? Christine hatte mir einen Zettel unter den Kaffeebecher
gelegt, mit all den Dingen, die ich einkaufen sollte. Das konnte warten. Lieber
rief ich einen meiner vielen Berliner Freunde an.
Aber wen?
Fischer zwo? Die Klein? Den Leuchtturm-Wirt?
Nein, da
gab es noch einen. Wie viele Tage waren eigentlich vergangen, seit ich mich um einen
Kontakt zu Brose bemüht hatte? Fast eine Woche! Und sollte er nicht demnächst aus
Fernost zurückkehren? Ich suchte in meinem Handy nach der Berliner Institutsnummer
und bekam dieselbe Sekretärin wie zuletzt an den Apparat.
»Tut mir
leid, Herr Brose ist noch immer unterwegs. Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Angeblich
wollten Sie das schon bei meinem letzten Anruf tun. Bitte, die Sache ist wirklich
dringend. Sagen Sie ihm, es geht um Herrn Tietje, dann weiß er Bescheid.«
»Gern. Wiedersehen,
Herr Koller.«
»Du mich
auch«, knurrte ich, nachdem die Verbindung beendet war. Gab es etwas Nutzloseres
als Sekretärinnen? Im Biologieunterricht hatten wir vor Ewigkeiten mal gelernt,
was eine semipermeable Membran ist: eine Zellenwand, die Substanzen nur in eine
Richtung durchlässt. Sekretärin war bloß ein anderes Wort dafür: Infos vom Chef
raus in die Welt, keine Infos rein zum Chef. Die semipermeable Vorzimmerdame. Sollte
ich vielleicht persönlich um die halbe Welt jetten, um mit diesem Schnösel ein Wörtchen
zu wechseln?
Nun, die
Flugkosten konnte ich mir sparen. Keine zehn Minuten waren seit dem Anruf in Berlin
vergangen, und ich hatte noch nicht einmal meinen Computer für eine Mail an Brose
angeworfen, als mein Handy in Gang kam.
»Hier ist
Brose. Ich soll Sie zurückrufen, hieß es im Institut.«
»Na, da
bin ich aber platt«, sagte ich und meinte es ehrlich. »Wo stecken Sie gerade?«
»Aktuell
im Stau. High Noon in Bangalore. Was ist, Herr Koller, wo drückt der Schuh?«
Ich zögerte.
Besonders gut war die Verbindung nicht, doch im Hintergrund hörte ich deutlich Verkehrsgeräusche:
startende und bremsende Wagen, Hupen und erregte Stimmen. Alltagstrott auf einem
anderen Kontinent. »Nun, ich würde mich gern mit Ihnen über Herrn Tietje unterhalten.
Wäre das möglich?« Und weil Brose nicht sofort reagierte, setzte ich hinzu: »Vielleicht
nach Ihrer Rückkehr?«
Ȇber Tietje?
Klar, immer. Sie wohnen aber nicht in Berlin, sagte mir meine Sekretärin.«
»In Heidelberg.«
»Gibt’s
da einen Flughafen? Oder können Sie nach Frankfurt kommen?«
»Am Mittwochnachmittag
bin ich ohnehin dort.«
»Na, bestens.
Dann treffen wir uns am Mittwoch auf dem Frankfurter Flughafen. Eigentlich habe
ich nach Berlin gebucht, aber das lege ich um. Hab noch genügend Meilen übrig.«
»Echt? Also,
das ist mir jetzt aber …«
»Oder wollen
Sie nach Berlin kommen?«
»Wenn ich
ehrlich bin: Frankfurt wäre mir lieber. Wenn es Ihnen keine Umstände macht.«
»Regelt
eh meine Sekretärin. Ich schreibe Ihnen noch, wann und wo. Hätten Sie eine Mailadresse
für mich, damit ich Sie erreiche?«
»Ich habe
Ihnen letzte Woche eine Mail geschickt. An Ihre Institutsadresse. Am besten, ich
schicke noch eine zur Sicherheit hinterher.«
»Machen
Sie das. Ich melde mich.«
Und schon
war das Hörfenster nach Indien wieder geschlossen. Ich kratzte mich im Ohr, als
traute ich meiner eigenen Sinneswahrnehmung nicht. Brose hatte mir kurz zugezwinkert
wie der Kasperl im Puppentheater, wenn er zwischen den Vorhangfalten auf seinen
Auftritt wartete. Ich melde mich. Und das sollte ich glauben?
Noch am
selben Abend erhielt ich eine kurze Mail von Brose, in der er mir seine Flugnummer
und die Ankunftszeit mitteilte. Mittwoch, 16.30 Uhr auf dem Frankfurter Flughafen.
Bis dann, BB. Keine weiteren Anmerkungen.
Ich machte
mir eine Flasche Bier auf und setzte mich ans offene Fenster. Christine lag mit
Kopfschmerzen im Bett. War das nicht seltsam? Ich musste bloß Tietjes Namen erwähnen,
schon kam Brose nach Frankfurt. Ohne weitere Nachfrage. Als wüsste er, was ich von
ihm wollte und worüber wir uns unterhalten würden. Als wenn er mit dem Anruf gerechnet
hätte. Dabei hatte er alles andere als ertappt gewirkt, von schlechtem Gewissen
keine Spur. Klar, Herr Koller, immer … Und dann buchte er sogar seinen
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