Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Flug um!
Gut, für Geschäftsreisende und Vielflieger mochte das Routine sein; ich fand es
ungewöhnlich. Was erhoffte er sich von unserem Gespräch?
Ich war
gespannt.
36
Der Flieger aus Bangalore hatte
eine halbe Stunde Verspätung. Ich aber war bereits um 16 Uhr in der Ankunftshalle
gewesen. Macht in summa eine komplette Stunde, in der ich mir die Füße platt trat
und mich über das internationale Reisegesocks ärgerte, das den Flughafen bevölkerte.
Die einen übermüdet, die anderen überdreht, manche blass, viele braungebrannt. Und
manche alles zusammen. Sie rochen nach Schweiß und Sonnencreme, fuhren mir mit ihren
Trolleys über die Zehen und rammten mir ihre Mitbringsel ins Gesicht. Daueralkoholisiert
kehrte ein Westerwälder Fußballverein aus Malle zurück. Verschleierte Arabermuttis
begehrten hüftbreit Durchlass. Als Brose endlich zwischen den Schiebetüren auftauchte,
hatte ich bereits diverse Schlachten geschlagen.
»Hey, hey«,
kam er auf mich zu, in Anzug und offenem Hemd, einen schwarzen Rucksack mit zwei
Fingern über der Schulter tragend. Er griff nach meiner Hand und drückte sie, als
sei das eine olympische Disziplin. »Unser Mann in Heidelberg, richtig? Gehen wir
was trinken?«
Wenn ich
erwartet hatte, Brose sei vom Jetlag gezeichnet, so hatte ich mich getäuscht. Er
wirkte eher, als habe er nur darauf gewartet, der Enge des Fliegers entkommen zu
können. Seine Hauptbeschäftigung: das Bäumeausreißen.
»Guten Flug
gehabt?«, fragte ich. Wie man das so fragte.
»Welchen
meinen Sie?«, gab er zurück und kicherte sich eins. Dann zeigte er auf eine Bar
mit quietschgelbem Ledermobiliar, in der bis auf die üppig ausgeleuchteten Aquarien
Kargheit Trumpf war. Die Sitzgelegenheiten hatten keine Lehnen, die Beleuchtung
war zu blassen Spots verkümmert, das Personal übte sich in Sprachlosigkeit. Selbst
bei der Getränkeauswahl hielt man sich vornehm zurück. An den Tischen saßen einzelne
Geschäftsreisende und lasen.
»Kaffee«,
bestellte ich gähnend.
»Kaffee«,
nickte Brose und ließ die Fingergelenke knacken. »Okay, Herr Koller, kommen wir
gleich zur Sache. Mein Anschlussflug geht in zwei Stunden, und ich muss vorher noch
ein paar Mails verschicken. All right?«
»Gern.«
»Dann helfen
Sie mir bitte auf die Sprünge: Über wen wollten Sie mit mir sprechen?«
Ich ließ
die Kinnlade fallen. Verdammt noch mal, was sollte das jetzt? Erst änderte der Kerl
seine Reisepläne für ein Gespräch mit mir, und nun wusste er nicht einmal mehr,
worum es ging! War ihm unser Treffen nun wichtig oder nicht?
»Über Tietje«,
antwortete ich finster.
»Tietje«,
nickte er und sah mich an, als höre er den Namen zum ersten Mal.
»Der Privatdetektiv.«
»Ach der!
Natürlich, das sagten Sie ja am Telefon.« Grinsend fuhr er sich durch seine Lockenpracht.
»Vielleicht erklären Sie mir erst einmal, warum Sie Kontakt zu mir aufgenommen haben.
Außer Ihrem Namen weiß ich nichts von Ihnen.« Er breitete beide Arme aus. »Gar nichts!«
»Sicher.«
Ich wartete mit meinen Erläuterungen, bis die Bedienung unseren Kaffee serviert
hatte. Im Prinzip gab ich Brose dieselben Informationen wie damals Madeleine Klein:
Tietje sei ein Kollege von mir, dem ich aus Zufall über den Weg gelaufen sei. Dabei
müsse ich irgendjemandes Verdacht erregt haben, der mich daraufhin die Leiche in
der Kältekammer entdecken ließ. Zuletzt fügte ich noch an, dass mich ein Tipp aus
Tietjes privatem Umfeld auf die Spur Broses gebracht habe. Von dem Dartscheibenfoto
sagte ich nichts.
»Mich interessiert,
welchem Auftrag Tietje in den letzten Wochen nachging«, schloss ich. »Ich habe ein
paar Anhaltspunkte, aber nichts Konkretes. Aber vielleicht können Sie mir weiterhelfen.«
»Ein Tipp
aus Broses privatem Umfeld«, sinnierte der Lockenkopf. »Das klingt ja nebulös. Für
wen arbeiten Sie eigentlich, wenn ich fragen darf? Oder ermitteln Sie auf eigene
Faust?«
»Es gibt
einen Auftrag. Mit dem Tod Tietjes hat er allerdings nichts zu tun. Höchstens indirekt.
Seit ich die Leiche entdecken durfte, ist es vor allem persönliches Interesse, das
mich umtreibt.«
»Verstehe.«
Er zog eine Grimasse und kratzte sich mehrmals an seinem nachlässig rasierten Kinn.
»Und jetzt wollen Sie von mir wissen …?«
»Was Sie
mit Tietje zu tun hatten.«
Noch immer
bearbeitete er sein Kinn. Der Blick, den er mir zuwarf, war schwer zu deuten. Begriff
er die Frage nicht? Litt er doch unter den Reisestrapazen? Oder
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