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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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eigentlich in Ihrem Institut?«, fragte ich. »Angewandte Stochastik – darunter
kann ich mir nichts vorstellen.«
    »Optimierte«,
verbesserte er mich mit hochgerecktem Zeigefinger und sarkastischem Blick. »Anwendungsoptimierte
Stochastik. Das ist ein Unterschied.«
    »Meinetwegen.
Trotzdem klingelt da nichts bei mir.«
    »Muss auch
nicht. Für die meisten Menschen ist es völlig uninteressant, was wir so anstellen.«
    »Und wenn
ich es doch wissen möchte?«, grinste ich.
    »Oje.«
    »Genau:
oje.«
    Brose reckte
sich. Dazu ließ er ein Grummeln hören, das an junge Gorillas erinnerte, wenn sie
zum ersten Mal den Papa nachahmen. Kopfbeugen nach rechts und links, bis der Hals
überstreckt war, Kieferkreisen, Naserümpfen. War’s das, Herr Brose? Das war’s. Er
griff nach einer Edelstahldose, die auf dem Tisch stand, und entnahm ihr ein Stück
Würfelzucker. »Wie viele Seiten?«
    »Sechs.«
    »Wenn ich
jetzt damit würfle: Welche Seite liegt oben?«
    »Keine Ahnung.«
    »Doch: genau
eine dieser sechs.« Er warf den Zucker auf den Tisch. Der Würfel prallte gegen meine
Untertasse und blieb dann liegen. »Sehen Sie, ich hatte recht.«
    »Kunststück.«
    Er zuckte
die Achseln. »Wir nennen es Zufall. Reiner Zufall, welche Seite oben liegt. Als
ob ein Gott seine Hand im Spiel hätte oder das Schicksal. Dabei folgt der Würfel
nur physikalischen Gesetzen. Mit welchem Schwung ich ihn werfe, in welchem Winkel
ich meine Hand halte, wie er auf den Tisch auftritt, welche Hindernisse wo platziert
und wie beschaffen sind: All das beeinflusst ihn. Eine logische Prozesskette, an
deren Ende ein logisches Ergebnis steht. Zufall, das ist bloß ein Hilfsbegriff für
unsere Unfähigkeit, das Konglomerat von Einzelprozessen zu durchschauen.«
    »Aber Sie
durchschauen es?«
    »Ich? Nö.«
Seine Mundwinkel wanderten nach oben. »Das wäre ja auch langweilig. Genau, wie die
reine Wahrscheinlichkeitslehre langweilig ist. Sie besagt, dass jede dieser Würfelseiten
die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, bei einem Wurf oben zu liegen. Das ist natürlich
Quatsch. Denn um einen Wurf auszuführen, brauche ich einen Menschen, und schon ist
meine ganze saubere Statistik für die Katz. Wenn ich würfle, sorge ich für ganz
bestimmte physikalische Gegebenheiten, von der Handhaltung über den Schwung bis
zum Arrangement der Gegenstände auf dem Tisch. Und dann liegt die eine Seite mit
hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit oben, die anderen fünf mit nullprozentiger.«
    »Kapiere
ich nicht.«
    »Ich will
nur sagen, dass es dort interessant wird, wo der Mensch eingreift. Dass er Resultate
erzeugt, ohne es zu wollen. Keiner will den Stau, aber alle produzieren ihn. Keiner
war scharf auf die Finanzkrise, aber alle haben daran mitgewirkt. So etwas finde
ich spannend. Das Leben als Spiel.«
    »Und was
ist nun die Rolle Ihres Instituts?«
    »Wir versuchen,
solche komplexen«, er deutete Anführungszeichen an, »im Volksmund: zufallsgesteuerten
Phänomene zu beschreiben, um besser mit ihnen umgehen zu können. Dazu brauchen Sie
Kreativität. Was an den Börsen passiert, hat ja viel mit Psychologie zu tun. Es
gibt eine Arbeitsgruppe bei uns, die Krankheitsverläufe bestimmten musikalischen
Gebilden zuordnet. Dann rennen uns die großen Versicherer ständig die Türen ein
und wollen wissen, wie man das Risiko einer Naturkatastrophe kalkuliert.« Er rollte
mit den Augen. »Versicherungsmathematik – total ätzend! Nur was für Buchhalter.«
    »Und was
kommt für Sie in Betracht?«
    Grinsend
lehnte er sich zurück. »Eine Zeitlang habe ich versucht, Politik mit den Methoden
der Spieltheorie nachzuvollziehen, aber Politik ist leider bierernst. Jetzt arbeite
ich mal wieder mit Ökonomen zusammen, das macht wenigstens ab und zu Spaß.«
    »Glücksspiele
müssten Sie doch auch mögen, oder?«
    »Logisch.
Vor allem, wenn ich das Glück beeinflussen kann.«
    »Können
Sie?«
    »Manchmal.«
Er streckte sich, fuhr sich mit beiden Händen über die Augen und schüttelte den
Kopf. Dann lachte er, als er meine Miene sah. »Schauen Sie doch nicht so bedröppelt!
Sie dürfen Begriffe wie Zufall und Glück nicht so hoch hängen. Das lenkt nur ab.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, damit Sie verstehen, was unter anwendungsoptimierter
Stochastik zu verstehen ist, aber dann lassen Sie mich bitte weiterfliegen. Ich
kann diesen Flughafen nicht ausstehen.« Er zog sein Handy aus der Tasche und warf
einen kurzen Blick darauf. »Ich weiß nicht, ob Sie sich mit Sportwetten

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